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s c h e n S o z i a l i s m u s und ferner, so überraschend das klingen

mag, aus der l i b e r a l e n Volkswirtschaftslehre Frankreichs.

Letztere hat Jean Baptiste Say die Lehre von der „Harmonie

aller Interessen“ bei vollkommenem laissez faire, also bei gleich-

zeitig ungehemmtem Walten des Eigennutzes aller einzelnen Wirt-

schafter, verkündet. Diese „Harmonie“ bedeutete für die Libera-

len nichts anderes als eine automatisch bewirkte, nachträgliche „Soli-

darität“ aller Wirtschafter. Für die S o z i a l i s t e n dagegen stellte

sich die „Harmonie“ nicht automatisch ein; sie erhoben daher die

sittliche F o r d e r u n g nach der organisatorisch zu sichernden

Gemeinbürgschaft, das heißt eben nach „Solidarität“ der Wirtschaf-

ter. Darum finden wir den Solidaritätsbegriff bei Auguste Comte,

dem Liberalen, ebenso wie bei Sismondi oder Proudhon, den So-

zialisten, und schließlich noch heute bei den ebenfalls liberalen fran-

zösischen Genossenschaftstheoretikern.

Was aber bei Individualisten und Sozialisten noch einen Sinn

hat, hat keinen mehr, wenn man beide Grundsätze, den individua-

listischen und sozialistischen, mischen will! Und gerade das hat

Pesch in seinem unklaren „Soli- / darismus“ getan. Pesch, der un-

glücklicherweise bei Adolf Wagner in die Schule ging (einem Mann,

der theoretisch ein Liberaler, wirtschaftspolitisch ein Staatssozia-

list war) und sich von ihm nie freimachen konnte, beruft sich

ausdrücklich auf die Wagnerische „Kombination (!) des Individual-

und Sozialprinzips“, auf „das Kompromiß (!) zwischen diesen

Grundsätzen“.

1

Die Ahnung, daß eine solche Klitterung unlogisch

und unfruchtbar sei, scheint Peschen bis zuletzt nicht gekommen

zu sein, denn er sagt noch in seiner „Selbstdarstellung“

2

mit voller

Harmlosigkeit: „Ich habe in dem Solidarismus die Vermittlung (!)

zwischen Individualismus und Sozialismus gesucht...“; und fügt

hinzu, er gehe „ . . . nicht einseitig vom Individuum oder von der

Gesellschaft aus, sondern von beiden zugleich .. .“ , was die Unfähig-

keit zu logischem Denken grell beleuchtet und ebensoviel heißt

wie — ein hölzernes Eisen!

1

P. Heinrich Pesch S. J.: Lehrbuch der

Nationalökonomie, Bd 1, 3. und 4. Aufl.,

2

P. Heinrich Pesch S. J.: Die

Volkswirtschaftslehre der Gegenwart in