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Und welch Gefühl entzückter Stärke,

Indem mein Sinn sich frisch zur Ferne lenkt!

Vom ersten Mark des heut’gen Tags getränkt,

Fühl’ ich mir Mut zu jedem frommen Werke.

Die Seele fliegt, soweit der Himmel reicht,

Der Genius jauchzt in mir! Doch sage,

Warum wird jetzt der Blick von Wehmut feucht?

Ist’s ein verloren Glück, was mich erweicht?

Ist es ein werdendes, was ich im Herzen trage?

— Hinweg, mein Geist! hier gilt kein Stillestehn:

Es ist ein Augenblick, und alles wird verwehn!

Dort, sieh! am Horizont lüpft sich der Vorhang schon!

Es träumt der Tag, nun sei die Nacht entflohn;

Die Purpurlippe, die geschlossen lag,

Haucht, halbgeöffnet, süße Atemzüge:

Auf einmal blitzt das Aug’, und, wie ein Gott, der Tag

Beginnt im Sprung die königlichen Flüge!“

Diese Verse Mörikes sprechen für sich selbst. Wir heben zum Überflusse

folgendes heraus:

Der Eingebung geht voran die Aufgeschlossenheit, die Bereitschaft der Seele

zur Aufnahme. In dieser Aufgeschlossenheit, dieser Bereitschaft ist der Wille zur

Annahme der Eingebung schon vorweggenommen. Ihr gilt Mörikes erstes Wort:

„O flaumenleichte Zeit der dunklen Frühe ..

„Einem Kristall gleicht meine Seele nun . . . “

Und ferner:

/

„Zu fluten scheint mein Geist, er scheint zu ruhn,

Dem Eindruck naher Wunderkräfte offen ...“

Nun kommt das Stichwort, der Anstoß, der den Blitz der Eingebung hervor-

lockt: die Wunderkräfte.

„Die aus dem klaren Gürtel blauer Luft

Zuletzt ein Z a u b e r w o r t vor meine Sinne ruft.“

Es folgt die erste Schau der Gesichte, im 3. Absatze geschildert. Zuerst unge-

wiß:

„Bei hellen Augen glaub’ ich doch zu schwanken;

Ich schließe sie, daß nicht der Traum entweiche.“

Dann stellt sich Klarheit, stellt sich Sicherheit ein, der Annahme folgt das

Festhalten, das Wirkenlassen des Geschauten in sich, der erste Schritt des Voll-

zuges, innerste Sammlung.

„Daß nicht der Traum entweiche,

Seh’ ich hinab in lichte Feenreiche?“

Der „Schwarm von Bildern und Gedanken“, die Gesichte, werden verglichen

mit Goldfischen:

„Die glänzend sich in diesem Busen baden,

Goldfarb’gen Fischlein gleich im Gartenteiche.“

Das Ein g e g e b e n e i s t z u r l e i b h a f t e n W a h r h e i t u n d

W i r k l i c h k e i t i m e i g e n e n G e i s t e g e w o r d e n :