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dualität beruht, wie Schelling in den „Weltaltern“ sagt, auf einem Ausbreitsamen,

Ausfließlichen, Bejahenden, Heraustretenden, ebensowie auf einem in sich Be-

ruhenden, sich Zurücknehmenden, sich in sich Verschließenden, Verneinenden

(Egoität). Nur durch beide ist Dingheit, ist insbesondere Persönlichkeit möglich.

Beides gehört untrennbar zusammen. Aber es kann nicht gleichzeitig, es kann

nur abwechselnd in Wirksamkeit gesetzt werden. Das jeweilig nicht Wirksame ist

darum nicht das ganz und gar nicht Seiende, das Nichts

(ούχ όν),

sondern nur

das beziehungsweise nicht Seiende

(μή όν)

l

.

— Mit diesem Begriffe ist eine nähere

Bestimmung von Möglichkeit wie von Gegensätzlichkeit im Seienden gegeben.

Wir treten nun in die Darlegung des eleatisch-heraklitischen

Widerstreites ein, um von ihm aus die Denkaufgaben, die im Be-

griffe des Seins liegen, zu entwickeln.

Der Begriff des Seins, so einfach und klar er dem ersten Blicke

erscheinen mag, zeigt zu dem des Werdens einen, wie es scheinen

möchte, unheilbaren Widerspruch. Überall in der Erfahrung nämlich

bemerken wir zugleich ein Beharrendes wie / auch ein Veränder-

liches am Sein. Wenn zum Beispiel der Mensch Goethe als Säugling

und als Greis betrachtet wird, so zeigt er sich zwar stets als der-

selbe, aber doch nur unter unaufhörlichen Veränderungen. Diese

beiden Bestimmungen stehen aber im schärfsten Widerspruche zu-

einander.

Die Eleaten faßten das Beharrende am Sein ins Auge, indem sie

erklärten, Veränderung am Sein könne nicht widerspruchslos ge-

dacht werden. Von dem Eleaten X e n o p h a n e s wird berichtet,

daß er gelehrt habe, das Seiende könne nicht werden, da es seinem

Begriffe nach ohne Veränderung und innere Bewegung sei. Sein

Schüler P a r m e n i d e s

2

sagte: Nur das Seiende ist, das Nicht-

Seiende ist begriffsgemäß nicht, denn das Nichts kann kein Gegen-

stand des Denkens sein („Gegenstand“ ist ja ein Etwas, kein Nichts,

kein Nicht-Sein). Kann aber das Nichts kein Gegenstand des Den-

kens sein, so gibt es auch kein Werden und Vergehen, insofern Wer-

1

Vgl. Schelling: Weltalter, Sämtliche Werke, Abt. 1, Bd 8, Stuttgart 1860,

S. 210 ff. und 221 ff. — Schelling führt die obige Unterscheidung leider niemals

in einem Begriffsgebäude der Ontologie durch. Sie diente ihm nur zur Be-

gründung seiner bekannten „Potenzenlehre“.

2

Hermann Diels: Die Fragmente der Vorsokratiker, 3 Bde, Bd 1, 4. Aufl.,

Berlin 1922, Fragment 4 und 6.