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dung formen. Die Formtätigkeit muß logisch vor ihr sein. Darum

kann sich auch nicht aus reinen, das heißt verstandlos gedachten

Sinnes„eindrücken“ der Gedanke hinterdrein „herausbilden“, „em-

porringen“, wie der Sensualismus meint. Der Gedanke muß logisch

zuerst da sein. Er wird vom Sinnlichen vermittelt, er wird am Sinn-

lichen nur als an seinem Material verwirklicht (aktuiert), aber nicht

das Sinnliche ist es, das sich zu ihm umbilden könnte.

Es ist nötig, gegenüber der materialistisch-physiologischen Auf-

fassung das Geistige der Sinne noch weiter hervorzuheben.

Auch in der sinnlichen Empfindung ist es ein Vorgegebenes, Vor-

geschaffenes, das erst durch eigenes geistiges Schaffen weitergegeben

wird. Hervorstechend ist jedoch dabei die enge / Gebundenheit an

die ganz bestimmte Form und die technischen Einzelheiten des

physiologischen Vorganges und des Baues der Sinnesorgane, wie sie

die Physiologie lehrt, das heißt die Bindung an ganz bestimmte Ge-

zweiungen höherer Ordnung.

Nur der eine Grundsatz mußte hier klargestellt werden: daß

der G e i s t e s i s t , d e r d i e S i n n e s e r f a h r u n g

m a c h t , n i c h t d e r K ö r p e r . Der Geist macht die Erfah-

rung vermittels des Körpers. Nur indem der Geist durch seine

eigene Gezweiungstat das Immaterielle des Stoffes vernimmt, ver-

nimmt er die Welt. Die sinnesphysiologischen Vorgänge können

nur als Anregungen des Geistes aufgefaßt werden, die Empfin-

dungstat zu vollziehen, als mehr nicht! Z u l e t z t i s t j e d e s

S e h e n H e l l s e h e n , denn nur das geistige Auge sieht; es

nimmt aber weder Schwingungen und Wellenlängen noch die che-

mischen Zersetzungen in der Großhirnrinde wahr; physischer

Lichtreiz und physiologischer Vorgang in Sehnerv und Sehzentrum

können nur als auslösend und anregend verstanden werden.

Jedoch muß der Begriff des a n r e g e n d e n W e r t e s der Sinnesempfin-

dungen auch richtig verstanden werden. Es kann keineswegs so stehen, daß die

Sinnesorgane a u s s c h l i e ß l i c h den Stoff für die höhere Geistestätigkeit dar-

bieten. P ü t t e r

1

erzählte einen von E r n s t A d o l p h S t r ü m p e l l be-

schriebenen Fall, bei dem der Patient nur noch auf dem rechten Auge sehen und

auf dem linken Ohr hören konnte. Alle anderen Sinne fehlten. Die Empfindlich-

keit der Haut war vollständig geschwunden, die Muskelempfindungen und das

1

August Pütter: Artikel Sinnesorgane (Physiologie der Sinnesorgane), in:

Handwörterbuch der Naturwissenschaften, Bd 9, Jena 1913, S. 85.