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Recht widerfahren. Denn Handeln folgt dem Geiste nicht bloß

nach, es hat auch eine eigene Würde: als Ausdruck des Geistigen,

das heißt aber: als seine E n t f a l t u n g , V o l l e n d u n g . Erst

im gesprochenen Worte ist der Gedanke ganz geformt, erst im ge-

malten Bilde der Einfall des Künstlers ganz ausgearbeitet, ganz kon-

kretisiert.

/

Auch tritt schon in der Stellung der bloßen Dienstbarkeit des

Handelns sofort eine Umkehrung des Verhältnisses beider ein: das

Handeln stellt Kenntnisse in seinen D i e n s t , benützt sie, macht

sie zu Mitteln oder Werkzeugen; es wird ja durch die Benützung

solcher erst zum „Können“. In diesem Verhältnis wird das Handeln

zum Herrschenden, und es schaltet mit der Welt der Empfindungen

und des Wissens wie mit einer Rüstkammer. („Wissen ist Macht.“)

In diesem Schalten mit der Welt des Wissens liegt etwas Auf-

bauendes, Gestaltendes für unseren Geist. Eine bildende Kraft

kommt im Handeln zur bloßen Welt der Empfindung hinzu. Die

Handlung selbst wird ein Gestaltendes in uns. Daher lernen wir uns

im Handeln selbst erst ganz kennen. Erst in der Gefahr zeigt sich

der Held. Ein altes Wort sagt: fabricando fabricamur, gestaltend

werden wir gestaltet.

Was hier geschieht, ist dasselbe wie in der Gezweiung. Ich als Handelnder

gezweie mich in mir selber und stelle mir, als Handelndem, den ganzen Schatz

meines Geistes gegenüber, der dadurch auferweckt, berichtigt, weitergebildet wird.

D a r u m e r s c h ö p f t d i e A n s i c h t , i m H a n d e l n w e r d e d i e

S u m m e u n s e r e r W i l l e n s k r ä f t e a u s g e b i l d e t , d i e W i r k s a m -

k e i t d e s H a n d e l n s n i c h t . Handeln bildet und gestaltet auch unsere

ganze Geisteswelt. Erst so entsteht ja „Charakter“ — nicht als eine leerlaufende

Maschine der Willensstärke, sondern als zur Schaffenskraft nach außen hin erho-

bene Empfindung, als Empfinden und Wissen, das g e l e b t wird.

Hiermit ist aber das Verhältnis von Geist und Handeln noch immer nicht

in der letzten Tiefe erfaßt.

Gehen wir ganz auf den Grund, so stoßen wir auf eine letzte E i n h e i t

von Wissen und Wirken, die aber doch nicht beiden eine gleiche Stellung ein-

räumt. Die deutsche klassische Philosophie von Kant, Fichte, Schelling, Hegel,

Baader bis zu den letzten Nachfolgern hat in Übereinstimmung dargetan und

daran durch alle Systemverschiedenheit festgehalten: daß jede seelische Regung,

welcher Art sie immer sei, den Grundcharakter von T ä t i g k e i t , von Aktivität

habe. Dies ist der Sinn des nie aufgegebenen und ewig wahren Fichteschen

Satzes: „ D a s I c h s e t z t s i c h s e l b s t “ , der nichts anderes besagt, als was

auch schon im Begriff der transzendentalen Apperzeption Kantens liegt. Selbst-

setzung, eigene, urentsprungene Aktivität ist das Wesen des Ich, das Wesen des

Geistigen, das Wesen jeder seelischen Erscheinung überhaupt. — Die Frage ist,

in welchem Sinne diese Urtätigkeit (Uraktivität) sich in zwei Tätigkeitsweisen