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Ein richtig verstandener Universalismus hält dagegen an der Ge-

meinschaft als unentbehrlichem geistigen (nicht nur äußerlich hel-

fendem) Grunde aller Erziehung fest. Aber die Vergemeinschaftung

erscheint dann nur als die Entwicklung jener Potenzen, welche das

Individuum in sich trägt, als die bloße Erweckung des dem indivi-

duellen Geiste Angemessenen. Der „Ausgleich“ gesellschaftlicher und

individueller Ideale wird begrifflich darin gefunden, daß die Ge-

sellschaft selbst das Wesentliche des Geistes, die Idee des Guten,

verkörpert. Dann ist die höchstmögliche Vergemeinschaftung zu-

gleich die allseitigste Erziehung des Einzelnen, wie zur Gesellschaft,

so auch zu seinem eigenen idealen Wert. Alle „Selbsterziehung“, wie

sie z. B. das Genie übt, ist in Wahrheit eine Durchdringung mit ge-

sellschaftlichen Geistesmächten, eine Eingliederung in geistige Ganz-

heiten (und ihre Umgliederung!).

Aus dieser Auffassung heraus sehen alle universalistischen Ge-

sellschaftslehrer in der Neuordnung der Erziehung die Grundlage

aller gesellschaftlichen Umgestaltung, Erneuerung

1

. — Für die

Individualisten ist die Erziehung einerseits eine Erlernung der Ge-

schicklichkeiten des Lebens und als solche nur eine dienende Magd,

oder Selbsterziehung und als solche keine gesellschaftliche Erschei-

nung. Die individualistische Auffassung der Erziehung ist der

Schlüssel dafür, daß unsere heutige Pädagogik nur U n t e r -

r i c h t s l e h r e (Unterrichtstechnik, Vermittlungstechnik der

Erkenntnisse) und daß sie ganz i n t e l l e k t u e l l gerichtet ist.

Weisheitsideal, Vorbild und persönliches Verhältnis zwischen Erzie-

her und Zögling (Gemeinschaft) sind dieser „Erziehung“ fremd

und haben ihr jenes Gepräge der Leere und des Industriemäßigen

gegeben, das auch die ganze Zeit trägt.

Daß eine andere als universalistische Auffassung der Erziehung

gar / nicht möglich ist, geht schon daraus hervor, daß die Erzie-

hung jederzeit als T e i l g a n z e s d e s K u l t u r l e b e n s

begriffen werden muß und daß keine einzige innere Kategorie der

Erziehung eine rein individuelle ist. „Individualpädagogik“ im

strengen Sinne gibt es nicht, es gibt nur „Sozialpädagogik“.

Die

Veranstaltung

der Erziehung ist heute nach der mehr öffentlichen und

intellektuellen Seite hin im S c h u l w e s e n gegeben; nach der mehr privaten

und sittlichen Seite hin in der F a m i l i e und den mit ihr verbundenen G e -

1

Vgl. Platons Staat, Fichtes Reden.

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