Table of Contents Table of Contents
Previous Page  7092 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 7092 / 9133 Next Page
Page Background

170

[151/152]

Erscheinung sagte zu dem Kinde: „Trinke aus jener Quelle, wasche dich mit dem

Wasser und iß von dem Kraute, das dort wächst.“ Bernadette blickte umher und

vermochte kein Wasser zu sehen. Es war hier nie eine Quelle gewesen. Sie

wandte sich daher dem Gaveflusse zu. . . „Nicht dorthin“, sagte die Erscheinung,

„nicht aus dem Flusse sollst du trinken, sondern aus dieser Quelle hier“ —

dabei deutete sie mit der Hand in die trockene Ecke der Grotte . . ., wo Berna-

dette nicht aufrecht stehen, sondern nur auf den Knien hinkriechen konnte . . .

Aber von einer Quelle sah Bernadette noch immer nichts. Sie lockerte mit

ihren Händen den Boden und scharrte die Erde weg. Auf einmal .. . quoll

Wasser hervor, vermischte sich mit der von Bernadette zerbröckelten Erde und

bildete eine Art von Schlamm, Bernadette kostete davon und aß auch einige

Blätter von dem Kraute .. . Die Erscheinung verschwand und Bernadette kehrte

aus ihrer Ekstase in ihren gewöhnlichen Zustand zurück — unzählige Menschen

waren zugegen und nahmen den Vorgang mit Staunen wahr. Man stürzte auf

die Grotte zu, trank und tauchte Tücher in die Wassergrube ...“ Bald erweiterte

sich der Strahl so, daß über 100.000 Liter täglich hervorquollen.

Es folgten darauf die wunderbarsten Heilungen. Dadurch entstand ein welt-

berühmter Wallfahrtsort, der jährlich von Hunderttausenden von Pilgern besucht

wird. — Das Übersubjektive dieser Vision liegt mindestens in der Spürung der

Heilkraft des allerdings noch verborgenen Wassers durch das ekstatische Mädchen.

Der Eindruck der Ekstase auf die Zuschauer war groß: „Man sah ... das Antlitz

der kleinen Seherin von den Strahlen eines himmlischen Lichtes übergossen. Das

Blut stieg ihr keineswegs in den Kopf; es überzog ihr Antlitz vielmehr eine

leichte Blässe, ihre Züge aber verklärten sich wundersam und nahmen einen

überirdischen Ausdruck an. Der halbgeöffnete Mund stammelte Entzücken und

Bewunderung; die unbeweglichen, in den nur für sie sichtbaren Gegenstand

versenkten Augen strahlten vor Wonne“

1

.

Visionen treten aber nicht nur als solche, sondern auch in objekti-

vierten Formen auf, von denen wir einige besonders hervorheben.

2.

Genius, Schutzgeist, spiritus familiares, di penates, Laren,

Hausgötter, Staatspenaten

Bei manchen Menschen zeigt sich mehr oder weniger deutlich

und beständig die Vision eines Genius, Schutzgeistes oder Schutz-

engels, der wohl als ein Sinnbild des eigenen selbfremden Seins, des

transzendenten Ichs zu betrachten ist. Dieser Schutzgeist verkehrt

dann mit ihnen, er verschwindet oder wendet sich ab, wenn der

Mensch Böses tut, wie es nicht nur aus uralten Zeiten, sondern

auch oft in neueren Zeiten, zum Beispiel von der Katharina /

Emerich von Dülmen berichtet wird

2

. Das Subjektive ist hier

das Bild, das Objektive die Realität des eigensten Ichs oder Selbstes

1

Georg Friedrich Daumer: Das Wunder, Regensburg 1874, S. 60 f.

2

Vgl. Clemens Brentano: Religiöse Schriften, Bd 1, München 1912—13,

S. 113 ff.