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141

S i m m e l

1

, W u n d t

2

, T ö n n i e s

3

, B r i n k m a n n

4

, Die

Anzahl dieser Namen ließe sich sehr vermehren, aber es mögen die

genannten als Beispiele genügen.

Diese Übersicht lehrt uns: daß die G e s e l l s c h a f t s -

l e h r e o d e r „ S o z i o l o g i e “ i n W a h r h e i t d u r c h a u s

n i c h t v o n C o m t e i n s L e b e n g e r u f e n w u r d e , s o n -

d e r n s o l a n g e b e s t e h t , a l s e s e i n e a u s g e b i l d e t e

P h i l o s o p h i e g i b t .

I n P l a t o n s „Staat“

5

, in A r i s t o t e l e s ’ Politik und

Ethik

6

haben wir die ersten zusammenfassenden Werke, die plan-

mäßig ein eigenes Begriffsgebäude für die Lehre von der mensch-

lichen Gemeinschaft — denn sie umfassen die ganze Gemeinschaft,

nicht nur den Staat im eigentlichen Sinne — aufzustellen suchen.

Weniger ausgebildet finden wir die Gesellschaftslehre im Mittel-

alter. Aber das hat seinen guten Grund. Denn das Mittelalter ist

jene wunderbare, einzigartige Zeit, in der es fast keine „soziale

Frage“ gab, in der daher das theoretische Nachdenken über Gesell-

schaft, Wirtschaft, Staat und die übrigen Gebilde der Gemeinschaft

vom praktischen Leben her wenig Aufforderung empfing. (Der

Streit zwischen Kaiser und Papst ging ja weit darüber hinaus, er lag

nicht etwa an inneren Organisationsfragen und -krisen des Staats-

oder Wirtschaftslebens.) Trotzdem liegt in den ethischen und poli-

tischen Schriften bei Albertus Magnus und dem heiligen Thomas

eine Entwicklung der Grundsätze der Gesellschaftslehre vor, wenn

sie auch allerdings lange nicht jene Durchführung und Ausbildung

aufweist, die andere Teile der Philosophie bei den Scholastikern er-

hielten.

1

Georg Simmel: Soziologie (1908), 3. Aufl., München, Leipzig 1923.

2

Wilhelm Wundt: Elemente der Völkerpsychologie (1912), 2. Aufl., Leipzig

1913.

3

Ferdinand Tönnies: Gemeinschaft und Gesellschaft (1888), 6. und 7. Aufl., Ber-

lin 1925.

4

Carl Brinkmann: Versuch einer Gesellschaftswissenschaft, München 1919.

3

Jetzt griechisch und deutsch von Wilhelm Andreae, 2 Bände, Bd 1 Text, Bd 2

Einleitung, Jena 1925 (= Die Herdflamme, Bd 6).

6

Aristoteles: Politik, deutsch von Eugen Rolfes, 3. Aufl., Leipzig 1922 (= Phi-

losophische Bibliothek, Bd 7); Aristoteles: Nikomachische Ethik, übersetzt und

erläutert von Eugen Rolfes, 2. Aufl., Leipzig 1921 (= Philosophische Biblio-

thek, Bd 5).