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vidualistische Standpunkt will, ist rein unmöglich; es widerstreitet

dem Wesen echten Schaffens, das nicht absolut ist, sondern unbedingt

an etwas anknüpfen muß, daher stets „Schaffen aus Geschaffen-

werden“ ist

1

. Kunst ohne Vorbilder ist kindliches Beginnen, Reli-

gion ohne Jüngerschaft ist unmöglich, Wissenschaft ohne Schüler-

schaft eine Selbsttäuschung. Unbekümmert um Kenntnisse, um Füh-

rung und Erweckung, rein „aus sich heraus“, also ohne Vorbilder,

schaffen zu wollen, ist ein urärmlicher Standpunkt. Leider ist er

heute geradezu der Zug der Zeit. (Wenn es nicht wahr ist, ist es gut

erfunden, daß der Baukünstler Otto Wagner / seinen Schülern ge-

sagt habe, „den Stephansturm solle man mit der Hacke zusammen-

hauen, sie mögen sich von dem Überlieferten lossagen, in sich gehen,

aus sich selbst heraus entwerfen.“)

Solche Vorbildlosigkeit kann unmöglich anderes ergeben als

Verfall, sogar bei großer Begabung. Darum heißt das Gebot der

Lebenskunst überall: Vorbilder suchen. Der Anfang zu „eigenem

Schaffen“ kann nur an Hand von Vorbildern entwickelt werden.

„Original fahr hin in deiner Pracht“ — dieses Wort im „Faust“

spricht ein Wesensgesetz alles Schaffens aus. Es folgt nicht bloß aus

der Natur des Schaffens, sondern auch aus der Natur der Gezwei-

ung, die nur objektive, nicht absolut subjektive Inhalte zu ent-

wickeln erlaubt.

Davon überzeugt auch ein Blick auf die Wirklichkeit. Wie in

der Religion ohne Stifter und Religionsführer nichts geschehen

kann, so in Wissenschaft und Kunst nichts ohne Anknüpfung an

bisherige Forschungen, Kunstwerke, Stile, so auch nichts ohne die

großen Sittenlehrer, die großen Herrscher, Staatsmänner, Heer-

führer, Wirtschaftsführer, Erfinder — sie alle sind überall unent-

behrlich.

Die Vorbilder erschließt uns aber die G e s c h i c h t e . Bismarck

z. B. hatte gerade keine Leidenschaft für die Wissenschaft. Er haßte

die Professoren und Geheimräte, die ihn im Stiche ließen, aber die

Geschichte, die ihm überall Staatsmänner am Werke zeigte, war ihm

zeitlebens Lehrmeisterin. Die Vorbilder lernt man aus ihrer Wirk-

samkeit und ihrem Leben kennen.

1

Siehe mein Buch: Der Schöpfungsgang des Geistes, Jena 1928, S. 45 ff. (= Die

Herdflamme, Ergänzungsband 3) [2. Aufl., Graz 1969, S. 47 ff.]; Geschichts-

philosophie, Jena 1932, S. 392 und öfters.

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