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Vom Interessenverband zum Berufstand
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Die marxistische Denkweise, welche Leben und Staat von der
Wirtschaft her bestimmt glaubt, ist so tief in die Poren unserer ge-
samten Bildung, auch des sogenannten „bürgerlichen Denkens“, ein-
gedrungen, daß die Meinung vorherrscht, die „objektiven Inter-
essengegensätze“ seien es, welche den Lauf der Dinge bestimmen.
Insbesondere in der Wirtschaft sei der Kampf der Interessenverbände
der Unternehmer gegen die Interessenverbände der Arbeiter un-
vermeidlich und allbestimmend — aber das wäre ja nichts anderes
als der Klassenkampf! Ich behaupte dagegen, daß es zuletzt gar nicht
die jeweilig sogenannten wirtschaftlichen „Interessengegensätze“
seien, welche den Kampf bestimmen — wie heute Marxisten und
Unternehmer gleicherweise glauben — sondern daß das, was schein-
bar „objektive wirtschaftliche Interessen“ darstellt, zuletzt erst durch
den G e i s t bestimmt werde, in welchem diese „Interessen“ gesehen
werden; genauer gesagt, d u r c h d e n G e i s t , i n w e l c h e m
s i c h d i e e i n z e l n e n G r u p p e n i n d a s G e s a m t -
g a n z e d e r W i r t s c h a f t e i n g l i e d e r n , in welchem sie
dieses Gesamtganze damit selbst bestimmen und aufbauen.
Der schwächste Punkt im Kampfe gegen den Marxismus ist bis
heute der, daß sowohl die Wirtschaftsführer wie die Geistigen un-
seres Volkes selbst vom m a r x i s t i s c h e n D e n k e n angesteckt
wurden, daß sie nämlich selbst an „Mehrwert“, „Konzentration“,
„Klassenkampf“, auch an „industrielle Reservearmeen“, „ehernes
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Zuerst erschienen in: Der Arbeitgeber, Jg 14, Berlin 1924, S. 467 f.; sodann
erweitert in: Ständisches Leben, Jg 2, Berlin, Wien 1932, S. 72 ff. Hier neu
durchgesehen.
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