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liche Eigenschaften sein (obwohl sie meistens als solche aufgefaßt /

werden), sie können auch vom Wesen gefordert werden, wie die

Ausdehnung für viele Naturdinge, aber sie dürfen gemäß den

Naturgesetzen nicht selbständig sein, sondern müssen an einem

Subjekte, an einer Substanz, erscheinen. Daher heißen sie auch das

„Mitzukommende“,

τό σνηβεβηκός

.

Dies die Lehre des Aristoteles

1

»

Die Grundlage für diese Begriffsbildung ist die Ideenlehre. Denn

im eigentlichsten Sinne ist die Idee Substanz. Sie ist das Zugrunde-

liegende, das ein sinnfälliges Wesen zum „selbststehenden“ macht,

wie Meister Eckehart es ausdrückte, zur Substanz. Da nun bei

Aristoteles die Idee oder Form den Dingen einwohnt (immanent

ist), und da er ferner das Allgemeine nur als Prädikat gelten läßt,

das den einzelnen Dingen in der Weise einer Eigenschaft „in-

häriere“, so ergab sich daraus die obige Lehre.

Der Lehrbegriff der Substanz gehört zum Urgute der Philo-

sophie. Jede echt idealistische Philosophie wird in irgendeiner

Weise den Lehrbegriff der Substanz annehmen müssen. Nachdem

ihn die Nominalisten zerstörten, indem sie die Idee als Träger der

Eigenschaften ausschalteten, nachdem später Empiristen ebenso wie

Nominalisten die Substanz nur als „Summe von Merkmalen“ gel-

ten ließen und keinerlei „Träger“ in ihr, keinerlei Einheit aner-

kannten — der Dingbegriff wird in den „Relationsbegriff“ aufge-

löst —, versuchte der deutsche Idealismus, zuerst in der schüchternen

Form eines subjektiven Apriori bei K a n t , den Substanzbegriff

wieder zu Ehren zu bringen. Schließlich erscheint er in aller Form

bei H e g e l wieder, wo ihn die Kategorienlehre in ontologischer

Fassung vorführt: „Das Wesen erscheint“, heißt es dort, die Er-

scheinung ist Ding mit Eigenschaften.

2

/

Das ist wieder ein Beispiel dafür, wie in allen Lehrgebäuden der

idealistischen Philosophien derselbe kleine Kreis von Fragen und

Begriffen wiederkehrt.

1

Vgl. Aristoteles: Metaphysik, V, 30, 1023 a, 14. Weitere Nachweisungen

und Genaueres über den Sprachgebrauch von

συμβαίνειν

bei Matthias Kappes:

Aristoteles-Lexikon, Paderborn 1894, unter diesem Schlagworte.

2

Vgl. Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grund-

risse, in 2. Auflage neu herausgegeben von Georg Lasson, Leipzig 1905, §§ 131 ff.

(= Philosophische Bibliothek, Bd 33). — Schelling: Sämtliche Werke, Abt. 2,

Bd 1, Stuttgart 1856, S. 398 f. und 431. — Fichtes Auffassung haftet an der

Kantischen, Sämtliche Werke, herausgegeben von Immanuel Hermann Fichte,

Berlin 1845—46, Bd 1, S. 142 ff., Bd 9, S. 302 f. (Substanz ist das Ich).