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Nur das kategoriale Sein und das Sein nach Möglichkeit und

Wirklichkeit sind die eigentlichen Bedeutungen von „Sein“. Beide

gehören nach Aristoteles aufs engste zusammen. Dasjenige, was das

mögliche Sein in das wirkliche, was die Dynamis in die Energie

überführt und damit das Sein in die bestimmten Kategorien bringt,

nennt Aristoteles B e w e g u n g oder Veränderung,

Die

„Bewegung“ ist der Vorgang (Prozeß) der Verwirklichung oder

Aktualisierung des Vermögenden und heißt darum auch die „un-

vollendeter Energie“.

/

A.

Das S e i n a l s B e w u ß t s e i n s e r l e b n i s

( I m m a n e n z l e h r e )

Der gegenständlichen oder übersubjektiven Auffassung der älte-

ren Zeit steht die sogenannte „immanente“ Auffassung der Neuzeit

gegenüber (von Berkeley und Hume bis zur Gegenwart: Dilthey,

Schuppe,

Neukantianer,

Empiriokritizisten,

Phänomenologen).

Nach ihr ist der Gegenstand nicht jenseits des Bewußtseins denk-

bar; sie kennt daher nur ein im Bewußtsein gegebenes Sein, sie

faßt den Gegenstand als subjektiv „gegebenen“. Alles Sein ist ge-

dachtes Sein. Es gibt kein Sein an sich. Daher gibt es für diese Auf-

fassung auch keine Ontologie oder Seinslehre, es gibt nur eine Lehre

von der Erkenntnistat, in welcher der Gegenstand oder das Sein

(die dem Erkennenden notwendig immanent bleiben) erfahren

wird: die Erkenntnislehre tritt an die Stelle der Ontologie, das

Sein oder die „Realität“ kommt nur noch als Kategorie des Er-

kennens vor. — Dieser Gedankengang führt schließlich zum S o l -

i p s i s m u s (solus ipse, das Selbst allein ist das Seiende), falls dem

nicht durch andere Begriffe im System ein Riegel vorgeschoben

wird, zum Beispiel bei Kant durch den Begriff des „Dinges an sich“,

bei Fichte durch den Begriff des „absoluten Ichs“. Da bei den früher

genannten Vertretern der Immanenzlehre von Hume bis Mach ein

solcher Begriff des Übersinnlichen fehlt, so können sie dem Solipsis-

4

(4) Das Sein der Möglichkeit und Wirklichkeit nach, der Potenz nach oder der

Aktualität nach,

όν δυνάμει χαί ένεργεϊα.

Das mögliche Sein, z. B. ein Samen,

ist nicht nichts, aber es ist auch noch nicht das wirkliche Sein, nämlich nicht der

Baum.