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Die erstere der beiden Behauptungen wird wohl nicht auf Wider-

stand stoßen, da die geistige Welt sich nur an der sinnlich-stofflichen

Welt entfalten kann, Geist ist auf Sinnlichkeit hingeordnet, ohne

Sinnlichkeit, ohne Erfahrung der Stofflichkeit und Räumlichkeit

kann sich der Geist hienieden nicht entfalten. Er „entfaltet“ sich

aber nur, das heißt, er hat den Inbegriff seiner Gliederung schon

vorher der Möglichkeit nach in sich. Dagegen wird diese Behaup-

tung im Hinblick auf den Stoff auf Widerstand stoßen. Entfaltet

sich auch der Stoff erst durch die Gezweiung mit dem Geiste? Das

folgt grundsätzlich aus der gegenseitigen Hingeordnetheit von Stoff

und Geist aufeinander. Wenn man etwa einwenden würde, daß eine

ferne Insel, ohne jedes Leben und ohne daß sie ein Mensch je gese-

hen habe, genau so bestehe wie nachher, so wäre das richtig, aber

dennoch kein Einwand. Eine Insel kann ohne Geist und Leben be-

stehen, aber die ganze / Erde kann ohne Geist und Leben nicht be-

stehen. (Nur ein grauer Atomist könnte einen solchen Gedanken

fertigbringen.)

In welchem Sinne die Gezweiung höherer Ordnung besteht, das

erweist am deutlichsten der menschliche Leib und das gesamte orga-

nische Leibesleben, die Gesamtwelt der „organischen Materie“. Die

in der organischen Materie, von den pflanzlichen und tierischen

Kleingebilden bis zum Menschen gegebenen Erscheinungen könnten

ohne die Verbindung mit dem Geistig-Seelischen nicht gedacht

werden.

Der Begriff des „gemeinsamen Aneinander-Werdens“ will also

nicht sagen, daß Natur ohne reine Geisteswelt (Ideenwelt) in kei-

nem Sinne bestünde. Er will nur sagen, daß beide Seinsordnungen

als Gesamtganze aufeinander hingeordnet sind, daß sie daher als

Gesamtganze ohne einander nicht so bestünden, wie sie bestehen

und zuletzt gar nicht verwirklicht wären; er will sagen, daß sie an-

einander wesenhaft ihr Dasein begründen und sich gleichsam mit

gegenseitiger Spiegelung erfüllen. Sie stehen in einem „historischen“

Verhältnisse zueinander. D i e s i s t d a s S c h i c k s a l , d a s

b e i d e a n e i n a n d e r e r l e i d e n . Die sinnfällige Welt, wie

sie ist, könnte ohne das Aneinander-Werden der beiden Seinsord-

nungen nicht entstehen! Wenn diese Tatsache im Bereiche der orga-

nischen Stofflichkeit augenfällig ist (wo der „Leib“ durch die Ver-

bindung mit der Seele einen anderen Inhalt erhält), so fehlt sie doch