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durch die Unterscheidung des tätigen und des erleidenden (soge-

nannten möglichen) Verstandes einen Fortschritt in der Lehre vom

Geiste

(voύς

ποιητιχός

,

intellectus agens und

voύς

παθητικός

oder

θυνάμει

,

„intellectus possibilis“ der Scholastik). Es wird

dadurch im Begriffe des tätigen Verstandes die Selbstbewegung, die

Spontaneität deutlicher herausgehoben, als dies von Platon geschah.

Aber schon dieser erklärte die Seele als die Kraft der Selbstbewe-

gung

1

. — Im gleichen Sinne sagt P 1 o t i n : „Die Energie der

Seele [das heißt ihr Volldasein, ihre Entelechie] besteht im Denken

und daher in dem in sich selber tätigen Sein.“

2

Die scholastische Philosophie bildete die Unterscheidung des täti-

gen und erleidenden Verstandes, intellectus agens und possibilis,

weiter aus und vertiefte dadurch den echten Begriff des Geistes.

Ähnlich die Neuscholastik

3

.

Die nominalistische Lehre des ausgehenden Mittelalters gleicht

grundsätzlich der empiristischen, wie wir sie früher kennzeich-

neten

4

.

/

Einen denkwürdigen Fortschritt sehen wir erst in der Geistes-

lehre des deutschen Idealismus.

Den Beginn machte, allerdings auf K a n t aufbauend, die Set-

zungslehre F i c h t e s mit dem entscheidenden Satze: „Das Ich

setzt sich selbst“. Ohne diesen Satz war weder Schellings noch Fle-

gels und ihrer Schulen Geisteslehre denkbar. Und doch ist er im

schreitende, diskursive Denken. Ähnlich bei Platon. — Vgl. dazu Hans Meyer: Ge-

schichte der alten Philosophie, München 1925, S. 301 und 315 f.; Carl Praechter:

Die Philosophie des Altertums, 12. Aufl., Berlin 1926, S. 387. — Zum Teil ab-

weichend: Franz Brentano: Aristoteles und seine Weltanschauung, Leipzig 1911,

S. 132.

1

Platon: Gesetze, übersetzt und erläutert von Otto Apelt, Leipzig 1916,

896 a (= Philosophische Bibliothek, Bd 159 und 160); Phaidros oder vom

Schönen, in der Übersetzung von Friedrich Schleiermacher neu herausgegeben

von Curt Woyte, Leipzig 1915, 245 c ff. ( = Reclams Universalbibliothek, Bd 5789).

2

Plotin: Enneaden, übersetzt von Richard Harder, Leipzig 1930—37, I, 5, 10

(= Philosophische Bibliothek, Bd 211 a).

3

Vgl. die neuscholastischen Werke (worin zugleich die Nachweise über

Thomas und Suarez) von: Albert Stöckl: Lehrbuch der Philosophie, 2 Bde,

5. Aufl., Mainz 1881, Bd 1, S. 64 ff. und 482 ff., Bd 2, S. 28t ff.; Joseph

Kleutgen: Die Philosophie der Vorzeit, 2 Bde, Bd 1, 2. Aufl., Innsbruck

1878, S. 112 ff., 117 ff. und öfter (gründliche Untersuchung des gesamten

Fragenkreises); Alphons Lehmen: Lehrbuch der Philosophie auf aristote-

lisch-scholastischer Grundlage, Bd 2, 4. Aufl., Freiburg i. Br. 1921, S. 290 ff.

4

Siehe oben S. 189 f.