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[208/209]

Grunde nicht neu. Aber die „Selbstsetzung des Ich“ drückt den

Gedanken der Selbsttätigkeit des Geistes auf ungleich entschiedenere

Weise aus, als dies bei Platon und Aristoteles mit dem Begriffe der

sich selbst bewegenden Seele und als es in der Scholastik mit dem

Begriffe des selbsttätigen Verstandes, des intellectus agens, geschah

oder als es selbst in Kantens Begriffe der „Spontaneität des Bewußt-

seins“ oder der „transzendentalen Apperzeption“ erreicht wurde.

In allen diesen Begriffen wird zwar die Selbsttätigkeit des Geistes

bereits ausgesprochen; indem aber Fichte das „Ich“ von den übri-

gen Erscheinungen der Seele mehr heraushob, als es vor ihm ge-

schah; und indem er die Bewußtseinserscheinungen als die „Set-

zungen“ des aus sich selbst tätigen Ichs, als die „Tathandlungen“ des

Ichs darstellte, entwickelte er den Begriff der Selbstwirksamkeit

oder Selbsttätigkeit in bisher nicht erreichter Deutlichkeit und

machte sie auch in kühnster Entschiedenheit zur Grundlage der

Geisteslehre. Der Geist fängt mit sich selber an, er ist in keiner

Weise die mechanische Folge von Vorhergehendem, — das zeigte

Fichte gegenüber dem mechanisierenden Empirismus und Sensua-

lismus wuchtiger und eindrucksvoller als irgendeiner vor ihm

1

.

S c h e l l i n g stellte sich in seinem Buche „Der transzendentale

Idealismus“ (1800) wie auch später noch auf den Boden der Fichte-

schen Geisteslehre. Er führte aber den schauenden Verstand, den

vovg

im alten Sinne unter dem Namen der / „intellektuellen Anschau-

ung“ wieder ein. „Erleuchteter Verstand ist Geist, und Geist ist das

Persönliche, das allein Tätige im Menschen, was allein auch geist-

liche Dinge versteht.“

2

H e g e l fußt auf Fichte und Schelling. Für seinen Geistesbegriff

darf man vier Bestimmungen als grundlegend betrachten: (1) die

Selbstsetzung (die dem ganzen deutschen Idealismus zukommt);

(2) das damit innig verwandte „Bei-sich-selbst-Sein“, das zugleich

Freiheit ist; (3) die Einheit von Einzelnem und Allgemeinem (im

Denken); und (4) die nachträgliche „Synthesis“, welche im dritten

1

Vgl. Johann Gottlieb Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre

(1794), §§ 1 ff. und die späteren Fassungen der Wissenschaftslehre (Neudruck

Leipzig 1921, = Philosophische Bibliothek, Bd 131).

2

Schelling: Denkmal der Schrift Jacobis von den göttlichen Dingen (1812),

Sämtliche Werke, Abt. 1, Bd 8, Stuttgart 1860, S. 99; vgl. auch den nachgelassenen

Entwurf: Anthropologisches Schema, Sämtliche Werke, Abt. 1, Bd 10, S. 291 ff.