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Für jedes Ding eine eigene Idee anzunehmen, ergab zuletzt doch

wieder eine Verdoppelung der Welt — ein Vorwurf, den gerade /

Aristoteles dem Platon machte. Dieser Vorwurf trifft aber Aristote-

les viel mehr. Wer für jedes Ding eine individuelle und vereinzelte

Idee annimmt, hat einen Abklatsch, einen Doppelgänger jedes Din-

ges. Platon dagegen hatte wenigstens die Begründung des Allge-

meinen in den verschiedenen Dingen durch seine Gattungs-Idee.

Endlich ist das mit der Immanenz gegebene Aufgehen der Idee in

dem Dinge eine Entsprechung zum P a n t h e i s m u s , denn die

Idee geht ja nun in ihrem Dinge unter — und gerade das behauptet

der Pantheismus von Gott im Hinblick auf die Welt.

Hält man diese Kritik, die wir an Aristoteles üben mußten, mit

den Einwänden zusammen, die Aristoteles Platon entgegnete

1

, so

hat man die gesamten Fragen und Denkaufgaben der Ideenlehre

beisammen

2

.

2.

Einen großartigen Versuch brachte der N e u p l a t o n i s -

m u s . P l o t i n verlegte die Ideen in den Weltgeist,

νούς

,

so daß

die Ideen nun nicht mehr eine schlechthin jenseitige Existenz führ-

ten, sondern als die Gedanken des Weltgeistes in einer eigenen

Seinswelt, einer eigenen Seinsstufe enthalten waren. In dieser Eigen-

schaft konnten sie aber nicht selbst und unmittelbar auf die irdische

Welt wirken. Der Nus wirkt nicht, daher wirken auch die Ideen

nicht selbst. Dies geschieht durch eine Vermittlung, nämlich d u r c h

d i e E n t s p r e c h u n g , d i e s i e i n d e r W e l t s e e l e f i n -

d e n . Diese Entsprechungen sind die

λόγοι σπερματικοί

(zusammen-

gefaßt im

λόγος

),

deren Begriff schon von den S t o i k e r n geprägt

wurde und den man als Ideensame, ideelle Keime, samenhafte Be-

griffe wiedergeben kann. Es sind die schaffenden Kräfte, welche

durch ihre Einstrahlung in die Materie die Erscheinungswelt bilden.

Indem nämlich der

νούς

von der Weltseele (und der menschlichen

Seele mit ihrem oberen Teile, dem Denken) geschaut wird und die

Weltseele in die Materie einstrahlt, entsteht die Erscheinungswelt, /

die Natur (durch die Einstrahlung der menschlichen Seele; der Leib)

3

.

Da die schaffenden Kräfte eigentlich als immanent gefaßt werden, ist

1

Siehe oben S. 411 f.

2

Weiteres darüber siehe unten S. 439 ff. und 452 ff.

3

Vgl. die Darstellung bei Carl Praechter: Die Philosophie des Altertums,

12. Aufl., Berlin 1926, S. 604 f.