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so genommen, wie es ist, als offener Widerspruch, aber gleichwohl /

wird man sich des Gefühls nicht erwehren können, daß in dieser

Zwiespältigkeit die tiefste Wahrheit verborgen liegt.

Nach unseren Voraussetzungen ist die Idee die Ganzheit, in ihrem

Vorsein genommen. Die Ideenwelt ist, vom Standpunkte der sinn-

fällig ausgegliederten Ganzheiten aus gesehen, die Rückverbunden-

heit der Glieder oder das Vorsein der Ganzheiten in ihrem nicht

ausgegliederten Zustande. Das „Vorsein“ tritt damit dem sinn-

fälligen Sein aber nur in dem Sinne „gegenüber“ wie das Ausglie-

dernde dem Ausgegliederten. Es ist das S c h a f f e n d e des Vor-

seins, das im G e s c h a f f e n e n zur Erscheinung kommt — das

schaffend sich Eingebende oder „Gesicht“, „Idee“. Schaffend nun ist

dieses Vorsein notwendig „Bewegung, Leben und Seele“ im Verhält-

nis zum Da-Sein; es ist aber auch das „An sich“, das „wahrhafte

Sein“, das Sein-Gebende im V e r h ä l t n i s zum Da-Sein als

jenem, dem es sein Erschaffenwerden im unaufhörlichen Werde-

strom der sinnfälligen Ausgliederung weitergibt; es ist im Ver-

hältnisse zu ihm auch das Unveränderliche

1

. Es ist in diesem Ver-

hältnisse auch lautere Wirklichkeit, actus purus, da wir oben alles

Schaffende im Verhältnis zu dem, was geschaffen wird, als lautere

Wirklichkeit erkannten

2

.

Hiermit erscheinen die Platonischen Bestimmungen in ein neues

Licht gerückt, in welchem die widersprechenden Merkmale „an

sich“, „unveränderlich“, „wandellos“ gegenüber: „Bewegung, Leben,

Seele“ versöhnt sind. Denn v e r s t e h t m a n d i e I d e e a l s

d a s A u s g l i e d e r n d e u n d S c h a f f e n d e , dann zeigt sie

sich überall und notwendig als „Leben, Bewegung, Seele“, genau wie

Platon es im „Sophistes“ ausdrückt; versteht man sie aber als das

selber U n a u s g e g l i e d e r t e und die Glieder rückverbindende,

dann ist sie dasjenige, was sich / niemals selbst in den Werdestrom

des Sinnfälligen herabbegibt, ist sie „an sich“ und ist sie unver-

änderliches, wahrhaftes Sein.

Auch auf dem rein ontologischen Gebiete bewährt sich so wieder

die Wunderkraft des Ganzheitsbegriffes. Der Ideenbegriff in seiner

Platonischen Fassung der reinen Jenseitigkeit vermag jene not-

wendigen Bestimmungen nicht zu vereinigen; der Ideenbegriff in

1

Vgl. oben Zeitlehre, S. 338 ff.

2

Vgl. oben S. 74 f.