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U n d a l l e s U n v e r b r a u c h l i c h e s t ä r k t , v e r t i e f t

s i c h i m G e b r a u c h e . Jede geistige Tat ist eine Selbstvertie-

fung. Das will keine überschwängliche Redensart sein, sondern

nackte Erfahrung, Urerfahrung.

Daraus ermesse man die Stellung des Geistes in der Zeit und wel-

cher der Weg des Geistes sei. Meister Eckehart sagt: „Werk als

Werk und Zeit als Zeit, die sind verloren“

1

. Wäre dann nicht jeder

Gedanke, jede Tat des Geistes, weil der Zeit angehörig, schlechthin

der Vergänglichkeit anheim gegeben? Der Weg, den der Geist hier

gemacht hat, wäre, als in der Zeit verloren, ebenfalls ein Weg des

Alterns (mindestens in dem Sinne, daß er ins Nichtsein führt). Doch

der Meister fügt hinzu: „Aber / die Frucht des Werkes bleibt, sie

bleibt im Geiste“

2

. Wenn jeder Gedanke, jede Tat, jedes Erlebnis

eine Frucht bringt, dann führen sie alle zu einer je tieferen Quelle des

Geistes zurück. Darum bezeichnen weder die leiblichen Lebensalter,

noch auch der mechanische Fortschritt die Umgliederungsordnung

des Geistes, denn allen diesen Kategorien widerspricht seine immer

mächtigere Selbstentfaltung. Wir stellen daher (wie es schon in un-

serer „Kategorienlehre“ geschah) all den genannten Kategorien die

Entfaltung als Kategorie der Umgliederungsordnung entgegen; oder

genauer, indem wir die grundlegende Ausgliederung, von der die

weitere Entfaltung ausgeht, als solche hervorheben: Gründung und

Entfaltung.

Das erste Erscheinen des Geistes ist keine „Jugend“ (im biologi-

schen Sinne) sondern: g r u n d l e g e n d e A u s g l i e d e r u n g ,

G r ü n d u n g , S t i f t u n g . Diese seine einmal gegründete Na-

tur ist es, die in allen Grundzügen, nämlich mit der bestimmten Be-

gabung, dem bestimmten Gepräge, schon da ist, aber e n t f a l t e t ,

ausgebaut, a u s g e b i l d e t werden muß. Die Entfaltung kann

darum (weil sie ja schon alle Grundzüge ihres Wesens besitzt) nicht

im eigentlichen Sinne „fortschreiten“ und sich nicht von einem

grundsätzlich Niederen zu einem grundsätzlich Höheren, Anderen

erheben; sie kann darum, weil sie notwendig im Rahmen der ein-

1

Meister Eckehart, herausgegeben von Franz Pfeiffer, Leipzig 1857, S. 72,

Zeile 4.

2

Meister Eckehart, herausgegeben von Franz Pfeiffer, Leipzig 1857, S. 73,

Zeile 3.