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[424/425/426]

schon vorher die Sprache haben; um in Wechselwirkung zu treten,

müßte er schon vorher geistig / da und fertig sein

1

.“) Es wird heute

schon gefühlt, daß die empiristische Sprachauffassung erfolglos und

wesenswidrig ist. Keine empiristische Theorie kann auch nur einen

Schimmer echter Erklärung dafür geben, wie das ungeheuerste Werk

des Geistes, das unerschöpfliche und unaussprechliche Wunder der

Sprache, namentlich der hohen indogermanischen Sprachen alter

Zeit, entstanden sei.

Um der Sache auf den Grund zu kommen, müssen wir uns be-

sinnen, was überhaupt die Sprache sei. In unserem Zusammenhange

ist wesentlich: daß sie Unmittelbares — das Verstehen, Erleben,

Denken des Menschen — durch ein Mittelbares — die Sätze, Worte,

Laute — darstellt und zum Ausdrucke bringt. Die Sprache ist ein

Inbegriff von Zeichen, von Sinnbildern, diese selbst wieder sind

nicht etwa technisch-utilitarische Abkürzungen, sondern Gestaltung

eines intuitiv Erlebten, sind intuitive Hervorhebung des Wesent-

lichen — w a h r e Entsprechungen! Sinnbild oder Zeichen ist alles,

was entsprechungsweise durch ein Äußeres (Mittelbares) auf ein

Inneres (Unmittelbares) hinweist, oder von anderer Seite her gese-

hen, wo ein Äußeres auf ein Inneres zurückgeführt wird. Das Zei-

chen ist ein Äußeres mit Bedeutungsgehalt. Die Sprache verwendet

das Äußere, Mittelbare des Zeichens zur Hervorbringung, Hervor-

ziehung des Inneren, Unmittelbaren.

Weist die Sprache durch den Bedeutungsgehalt ihrer Zeichen auf

den inneren geistigen Zustand des Menschen als auf eine geistige

Urwirklichkeit, geistige Unmittelbarkeit hin, so ist es klar, daß diese

geistige Urwirklichkeit notwendig den Vorrang vor ihren Zeichen,

ihrem Ausdrucke hat.

Wie kann also die Sprache entstanden sein?

Nur dadurch, daß ein geistiger Urzustand des Menschen ange-

nommen wird, in welchem o h n e V e r m i t t e l u n g Geist mit /

Geist verbunden war. In jenen Zuständen unvermittelter geistiger

Berührung, die wir wiederholt anführten, und die man heute hell-

seherisch, somnambul, schlafwandlerisch, verzückt und ähnlich zu

benennen pflegt, in jenen Zuständen haben wir die Trümmer des

1

Vgl. mein Buch: Gesellschaftslehre (1914), 3. Aufl., Leipzig 1930, S. 413

[4. Aufl., Graz 1969, S. 494.].