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verkettet. Dem alten Mythos ist die Erde die Gemahlin des Himmels. Die Erde

empfängt unendliche Einflüsse der Sonne, der gesamten Gestirnwelt (auch

heute gibt es ja wieder den Begriff der „kosmischen Strahlungen”) und des

Mondes. Letztere zeigen sich auch uns Heutigen namentlich in gewissen Krank-

heitszuständen und magnetischen Zuständen.

Auch die alte Welt kannte den dargestellten Gesamtstufenbau der Natur,

aber sie dachte ihn in immer höhere Seinsarten übergehend. A r i s t o t e l e s

unterschied folgenden Stufenbau: die E r d e wird umfaßt (begrenzt) vom

W a s s e r, das Wasser von der L u f t , die Luft vom Ä t h e r . Der Raum des

Äthers ist der obere Himmel, der als die ruhende Grenze des körperlich Be-

wegten nicht mehr von einem anderen begrenzt (umfaßt) wird und dem unbe-

wegten G ö t t l i c h e n nähersteht als die unteren Kreise

1

. Alle Bewegung des

Niederen geht vom Höheren aus

2

.

2. Goethes dingliche Naturbetrachtung

Hat sich ergeben, daß der Dingbegriff in Physik und Chemie

in Wahrheit auch heute eine, wenn auch heimliche und verdeckte,

aber unentbehrliche Rolle spielt, trotz des mathematischen und

atomistischen Verfahrens; so folgt, daß bei anderer verfahren-

mäßiger Einstellung der Dingbegriff eine größere Rolle spielen

würde.

Ein Beispiel, dessen hier rühmlich zu gedenken ist, bildet die

Farbenlehre Goethes, welche das Dingliche überall zur Geltung

bringt. Die Farben sind nach Goethe „Taten des Lichts, / Taten

und Leiden“

3

. Das Licht selbst ist nach Goethe unsichtbar. Erst

an den verschiedenen Dingen (Medien) tritt es in verschiedenen

Farben hervor. Nach Goethe sind zur Farbe nötig: Licht, Fin-

sternis und Körperwelt. Die Grundtatsachen der Farbenbildung

sind dann folgende: Licht, durch ein trübes Mittel (z. B. Nebel)

gesehen, wird gelb; Finsternis durch ein helles Mittel (z. B. der

dunkle Weltraum durch die erleuchtete Luft) gesehen, blau.

„Mittel“ ist aber ein Ding. Zur Erzeugung der Farben bedarf

es heller und finsterer Naturgegenstände. Überdies bezieht

Goethe noch das jeweilige bestimmte Verhältnis zum Sehorgan

ein. So hat Goethe einerseits das Auge, andrerseits den polar

gegliederten, nämlich aus hell und dunkel bestehenden Gegen-

1

Aristoteles; Acht Bücher Physik, IV, 5, und VIII, 6, Leipzig 1854, S. 173 (mit

Anmerkung 16, S. 498) und S. 421 ff.

2

Platon: Phaidros, 245 c; Aristoteles: Vier Bücher über das Himmelsgebäude,

IV, 3, Leipzig 1857, S. 238 ff.

3

Goethe: Zur Farbenlehre (1810), Vorwort, Naturwissenschaftliche Schriften,

herausgegeben von Rudolf Steiner, Bd 3 ( = Deutsche National-Litteratur, Stutt-

gart o. J„ Bd 116), S. 77.