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die Lieder [Poesie], festigen durch die Formen, vollenden durch die

Musik.“

1

Aber auch Anmut und Schönheit bewirken sie („sich den

Gesetzen der Schönheit zuwenden“, zitierten wir oben), ebenso wie

sie erst die eigentliche Erfüllung des Wesens vollbringen. Der Mei-

ster sprach: „Ehrerbietung ohne Form wird Kriecherei, Vorsicht

ohne Form wird Furchtsamkeit, Mut ohne Form wird Auflehnung,

Aufrichtigkeit ohne Form wird Grobheit.“

2

— Die Kehrseite die-

ser großen Schätzung der Form im chinesischen Leben beleuchtet

folgender Spruch: Der Meister sprach: „Wer drei Jahre lang nicht

abweicht von seines Vaters Wegen, kann kindesliebend genannt

werden.“

3

Drei Jahre betrug die Trauerzeit nach dem Tode der

Eltern. Die Forderung, dieser Trauer dadurch Ausdruck zu verlei-

hen, daß drei Jahre hindurch nichts an den Lebensgewohnheiten,

wie sie vorher der Vater pflegte, geändert werde, beweist eine

Hochschätzung der Form, die uns fremdartig erscheinen muß. —

Auf ein ideales Verhältnis des Gleichgewichtes von Gehalt und Aus-

druck geht folgender bedeutsame Spruch: Der Meister sprach: „Bei

wem der Gehalt die Form überwiegt, der ist ungeschlacht; bei wem

die Form den Gehalt überwiegt, der ist ein Schreiber.“

4

Möchten

sich das unsere modernen Ästheten gesagt sein lassen!

Nach Kungfutse besteht sohin eine strenge und ganz unerläßliche

Gegenseitigkeit von Inhalt und Form; diese Gegenseitigkeit wird

weit strenger und vor allem starrer gefordert, als dem abendländi-

schen Empfinden im Unterschied zum chinesischen angemessen er-

scheint. / Zwar können vom Standpunkt des reinen Kunstideals

auch wir eine solche Hochschätzung, ja Voranstellung der Form bil-

ligen. Für das praktische Handeln aber und lebendige Geschehen in

Staat und Gemeinschaft mit seinen reichen Wechselfällen, uner-

schöpflichen Inhalten und Veränderungen mag nach abendländi-

schem Empfinden der festgebannte Ausdruck, die strenge Form lie-

ber zugunsten des frei erlebten Inhaltes vernachlässigt und der Ent-

wicklung freier Lauf gelassen werden.

Im Einzelnen mögen noch folgende Sprüche ein lebendigeres

Bild von Staatsregierung und Gemeinschaftsleben zu vermitteln

1

Kungfutse: Gespräche, Buch VIII, 8, S. 79.

2

Kungfutse: Gespräche, Buch VIII, 2, S. 76.

3

Kungfutse: Gespräche, Buch IV, 2, S. 30.

4

Kungfutse: Gespräche, Buch VI, 16, S. 55.