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Überall ist es das Vertrauen in das Gute, welches die Ge-

meinschaft mittels einer ihr innewohnenden Kraft beherrscht, be-

gründet, belebt. Hier muß man aber, um das Wesen dieser Staats-

auffassung zu verstehen, mit Nachdruck fragen: Wie könnte das

Individuell-Gute, das bloß in der autonomen Willenssphäre des

Individuums geboren wird, e i n e b l o ß e A n g e l e g e n h e i t

d e s I n d i v i d u u m s ist, überhaupt zu einem Verhältnis

von Mensch zu Mensch führen, das heißt: wie könnte dies eine art-

eigene (nicht etwa bloß utilitarische) Anwendung auf die Gemein-

schaft erhalten? Das scheint wohl ein unmögliches Beginnen. Bei

Kungfutse sieht man jedenfalls: Das gesellschaftlich Gute ist keine

Anwendung des für den Einzelnen Guten auf das Verhältnis des

Einzelnen zu den anderen — was nur auf äußere Nützlichkeit füh-

ren könnte (das Nützliche ist aber nicht einerlei mit dem Guten).

Das Sozial-Ethische folgt vielmehr in dieser Lehre aus dem Wesen

der Gemeinschaft selbst, das G u t e i s t d a s L e b e n s p r i n -

z i p d e r G e m e i n s c h a f t , ja der Begriff der Gemeinschaft.

Hierin möchte ich den Schwerpunkt der Lehre Kungfutses er-

blicken, von hier aus wird nicht nur der Staat, sondern auch die Sitt-

lichkeit begründet. Die platonische Vorstellung vom Staate als dem

Träger „des Guten“ stimmt damit überein.

/

Ein zweiter ganz entscheidender Bestandteil der Sittenlehre Kung-

futses ist die entschiedene V o r a n s t e l l u n g u n d H o c h -

s c h ä t z u n g d e r F o r m . Man höre hierüber folgende Sprüche:

Ein hoher Beamter namens Gi Tsi Tscheng sprach: „Dem Edlen

kommt es auf das Wesen an und sonst nichts. Was braucht er sich

um die Form zu kümmern?“ (Der Jünger) Dsi Gung sprach: „Be-

dauerlich ist die Rede des Herrn über den Edlen. Ein Viergespann

holt die Zunge nicht ein (das heißt: übereilte Worte lassen sich nach-

träglich nicht mehr ungesprochen machen). Die Form ist das Wesen,

das Wesen ist die Form. Das von Haaren entblößte Fell eines Tigers

oder Leoparden ist wie das von Haaren entblößte Fell eines Hun-

des oder Schafes.“

1

— Der Meister sprach: „ . . . Wer die Formen

der Sitte nicht kennt, der kann nicht gefestigt sein.“

2

— Den äuße-

ren Formen im Leben kommt die unentbehrliche Verrichtung der

Festigung in der Sittlichkeit zu. Der Meister sprach: „Wecken durch

1

Kungfutse: Gespräche, Buch XII, 8, S. 123.

2

Kungfutse: Gespräche, Buch XX, 3, S. 219.