Table of Contents Table of Contents
Previous Page  1732 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 1732 / 9133 Next Page
Page Background

334

[274/275]

jenigen, die das zu tun vorgeben, benehmen sich in Wahrheit als

Empiristen, das heißt, sie legen eine bestimmte, die empiristische

Auffassung vom logischen Wesen des Erkennens zugrunde — nur

ohne sich selbst darüber Rechenschaft zu geben. Wir unterscheiden

die zwei großen Gruppen der empiristischen und der nicht-empi-

ristischen Auffassung des Erkennens, denen die individualistische

und universalistische Auffassung der Gesellschaft als Entsprechungen

gegenüberstehen, wie sich zeigen wird

1

.

A. Die e m p i r i s t i s c h e A u f f a s s u n g

Diese hat wieder mannigfache Formen, wovon wir die sensuali-

stische, relativistische und pragmatische hervorheben. Der Grund-

gedanke des Sensualismus ist in der berühmten Formel ausgespro-

chen: „nihil est in intellectu quod / non fuerit in sensu.“ (Nichts

ist im Verstande, was nicht in den Sinnen war.) Darnach ist das

Wissen nur die Summe der durch die Sinne aufgenommenen Ein-

drücke: ein Wechselndes und auch Subjektives, wodurch der Sen-

sualismus in Relativismus und Subjektivismus übergeht.

Der rasch wechselnde Inhalt der induktiven Wissenschaften und der geringe

Stand der heutigen philosophischen Bildung führten im 19. Jahrhundert mehr und

mehr zu der Meinung, daß Wahrheit etwas „Relatives“ sei, das ist zu einem

logischen Relativismus. Schon der griechische Sophist Protagoras vertrat diese

Ansicht, die in dem Satze „Der Mensch ist das Maß aller Dinge“ zum Ausdrucke

kam. In der Neuzeit waren Locke, Hume und die englisch-französische Auf-

klärungsphilosophie die Verfechter dieses Standpunktes, im 19. Jahrhundert wa-

ren es Comte, Mill, Spencer, die Materialisten (Büchner usw.), die Monisten

(Ostwald, Häckel), die sogenannten Empiriokritizisten Mach und Avenarius, um

nur diese zu nennen. Namentlich alles, was von der Naturwissenschaft herkam,

lehrte und lehrt den Relativismus. Seine geistvollste Form fand er im „Empirio-

kritizismus“ von Avenarius (Wahrheit = das „denkbar meist sich Wiederholende“

im Ablaufe der Nervenvorgänge; dieses: ein biologisches Anpassungserzeugnis,

Wahrheit daher ein Grenzbegriff, nur in unendlicher Wiederholung zu erreichen).

Eine verbreitete Form des Relativismus ist der „Pragmatismus“, der das eng-

lisch-amerikanische, auch das französische Denken vielfach beherrscht. Im Prag-

matismus wird ein unbekümmertes darwinistisches Denken, oder soll man sagen

ein roher kaufmännischer Geist?, auf die Logik übertragen. Wahr ist für diese

Ansicht, was uns den größten praktischen Lebenserfolg verbürgt. Unsere Be-

griffe nehmen ihren Wahrheitswert nur aus dem, was sie für die Lebensführung

1

Daß Empirie und empiristisch nicht einerlei ist, daran wurde oben erinnert

— vgl. oben S. 19, siehe auch unten S. 383 f. und öfter.