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Religion auf völkerkundlicher Grundlage zu geben, machten im

Anschluß an Comte unter anderen J o h n L u b b o c k und Ed-

ward Burnett Tylor: Der A n i m i s m u s , der Glaube an Allbe-

seelung durch Geisterwesen, gibt die erste „Minimumdefinition der

Religion“, wie Wundt in seiner „Völkerpsychologie“ sagt.

b.

Der Präanimismus

Noch vor die Stufe des Animismus zurück will der „ P r ä a n i -

m i s m u s “ der ethnologischen Schule gehen, der eine „neue Mini-

mumdefinition“ der Religion aufstellen will. Der Präanimismus be-

hauptet, daß in der einfachsten Religiosität die Geisterwesen nicht

als individuelle gefaßt werden, sondern als „wirkende Kräfte

schlechthin“, als unpersönliche, undifferenzierte „Kraft“ oder

„Macht“, obwohl sich die wirkende „Kraft“ stets in Einzelfällen,

also individuell äußert. Es gibt, so sagt diese Lehre, zwei „Kräfte“

oder „Mächte“ in der Welt: menschliche (mentale) und unpersön-

liche (physikalische, zum Beispiel Wechsel von Tag und Nacht,

Himmelskörper). Aus den menschlich-geistigen Kräften folgt der

Seelen- und Geisterbegriff; aus den körperlichen Kräften aber folge

bei ungewöhnlichem Laufe der Dinge der Z a u b e r g l a u b e .

Dieser sei aber ein Glaube an u n p e r s ö n l i c h e Kräfte. (Zau-

berkräfte.) Er soll der eigentliche Sinn der Religion sein und daher

der Satz gelten: Zauber war vor Animismus. Daher heißt diese

Lehre „Präanimismus“ oder „präanimistische Zaubertheorie“ (Ja-

mes George Frazer, Leonard William King, Robert Ranulph Marett

und andere).

Martin Paul Nilsson gibt dazu folgende Erklärung: „Diese Kraft wird besser

supranormal als übernatürlich genannt, da man mit Fug in Abrede gestellt hat,

daß / auf primitiver Stufe zwischen Natürlichem und Übernatürlichem unter-

schieden werde. Dieser Art ist zum Beispiel die polynesische M a n a, iroketische

O r e n d a , im nordischen Volksglauben heißt sie noch

Macht.

Indem die Kraft

sich in Einzelfällen äußert und sich so differenziert, entstehen die M ä c h t e ,

Wesen, bei denen das Hauptgewicht nicht auf das Individuelle und Persönliche,

sondern auf die Wirksamkeit fällt. Solcher Art sind die römischen Numina und

die griechischen

δαίμονες

in einer der homerischen Auffassungen.“

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Martin Paul Nilsson und Sam Wide: Einleitung in die Altertumswissen-

schaft, herausgegeben von Alfred Gercke und Eduard Norden, Bd 2, Teil 4: Ab-

schnitt: Griechische Religion, 3. Aufl., Leipzig 1922, S. 274.