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höherer Kulturen mit roheren. Allerdings hat nicht jeder Krieg diese Aufgabe

und Würde; es gibt auch verfehlte Kriege, die sich gegen verwandte Gemein-

schaften und Bundesgenossen wenden, es gibt auch Schlachten, die mehr dem

Privatvorteil von Herrscherhäusern, Besitzgruppen oder Ständen, als den Zielen

des Ganzen dienen. (Dagegen ist die Form des Krieges, ob Angriff oder Ver-

teidigung, für seine Berechtigung und Funktion ganz gleichgültig.) Aber /

solche Verfehlungen ändern nichts an der letzten Natur der Staatenkämpfe;

jene Kriege, die uns jetzt in Europa drohen, sind lauter echte Nationalkriege.

Auf absehbare Zeit wird der Krieg allein dasjenige Organ sein, mit welchem die

internationale Entwicklung ihre großen politischen Wirkungen erzielt. Schieds-

gerichtsveranstaltungen und Verträge werden daneben, so verdienstvoll und er-

strebenswert ihre Anwendung auch ist, immer nur eine geringe Rolle spielen.

Denn sie können niemals bei Fragen in Betracht kommen, für welche die Staa-

ten, Volkheiten und Kulturen nichts Geringeres als sich selbst einsetzen müssen!

Zugleich darf gerade der Darwinische Gesichtspunkt, der die heutige Friedens-

theorie im Grunde allein beherrscht, nicht außer acht gelassen werden.

Gerade dem Kriege als der ultima ratio der Auseinandersetzung zwischen Völ-

kern wohnt jenes aufrüttelnde Element des Daseinskampfes am meisten inne,

das die für alle Entwicklung so wichtigen auslesenden Wirkungen in sich trägt.

Gerade von hier aus kann man leicht einsehen, wie Kampf zwar ein Unheil,

aber ein notwendiges und ein solches mit den fruchtbarsten Wirkungen ist.

In seinen Leistungen als Entwicklungsträger ist der Krieg aber auch — das

Ganze und die großen Linien ins Auge gefaßt — gerecht. Dieser Gedanke, den

auch Schiller in dem bekannten Worte aussprach: „Die Weltgeschichte ist das

Weltgericht“, ist den Philosophen und Geschichtsschreibern aller Zeiten ge-

läufig gewesen. Die großen Kriege entscheiden nicht rohe Gewalt und der Zufall

der Schlachten, sondern der Gang der großen Entwicklung, alles Können und

Wollen der Gemeinschaft. Aller Gemeingeist, alle Verstandeskraft, Friedens-

arbeit, Organisationsgabe, Rassenwert, Bildungshöhe, kurz, die ganze Kultur-

höhe, die ganzen Kräfte der Gemeinschaft werden in die Waagschale geworfen.

Daß das Perserreich den Griechen Alexanders weichen mußte, war gerecht;

daß später die alten Griechen untergehen und zuerst den Römern sich beugen

mußten, dann von Hunnen und Slawen überrannt wurden, war ebenso gerecht,

da sie schon im Innersten ihrer Rassenkraft angegriffen und verdorben waren;

daß dann die Römer den germanischen Naturvölkern erlagen, war wiederum

gerecht, und so erging es und wird es ergehen mit allen großen Entscheidungen

der Geschichte. — So angeschaut, kann niemand, dem die Kultur und ihre

Werte am Herzen liegen, den Krieg verwerfen. Von welchen Gemeinschaften

und Rassen aber die Welt besetzt und beherrscht werde, ist für die Gestaltung

keines einzigen Menschenlebens gleichgültig.

Das ist die Ansicht des Krieges in seinen Leistungen nach außen hin. Aber

weit erstaunlicher sind die W i r k u n g e n , d i e e r n a c h i n n e n hin hat.

Schon ein Blick auf die inneren Reformen, z. B. nach 1806 in Preußen, nach 1866

in Österreich, könnte uns darüber belehren. Die bedeutendste dieser Wirkungen

ist aber die, welche auf die E n t h ü l l u n g d e s i n n e r e n G e f ü g e s eines

Staatswesens geht. Das ist besonders bei völkisch, ständisch, kulturell oder religiös

bunt zusammengesetzten Staaten, wie der Türkei, Rußland, Österreich wichtig.

Indem die Staaten für den Krieg alle ihre inneren Kräfte zusammenfassen und

nach außen zum Schlagen bringen müssen, wird der Aufbau ihres eigenen

Kräftesystems klar. Nun muß sich zeigen, was zum Staat gehört, welche Gruppen

der Gemeinschaft für ihn einstehen. So zeigten sich in Österreich in den Krisen