Table of Contents Table of Contents
Previous Page  1958 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 1958 / 9133 Next Page
Page Background

562

[472/473]

durch ihre protestantische Religion, feste Überlieferung und eine die Umgebung

überragende Kultur alle Glieder innig an sich schließt.

Die gezeigte Grad- und Artenverschiedenheit deutet auf innere

Gliederung — in Stämme oder Unterganze eines Volkstums. Je-

des V o l k s t u m b e s t e h t a u s m e h r e r e n g e i s t i g e n

T e i l v o l k h e i t e n o d e r S t a m m e s t ü m e r n . Das Volks-

tum ist eine geistige Ganzheit, ein intelligibler Organismus, der

sich auch wieder in Unterganzheiten ausgliedert.

Sehen wir uns daraufhin die Deutschen an, so müssen wir die

Bajuwaren, Schwaben (Alemannen), Niedersachsen, Rhein- und

Mainfranken, Thüringer, Ostelbier als besondere Teilvolkheiten be-

stimmen, deren hohe Eigenart offen zutage liegt, während zugleich

die höhere Einheit des Deutschtums, die alle diese Sonderkreise

verbindet, nicht geleugnet werden kann. Man denke an die musika-

lische Kultur der Bajuwaren, die philosophische Kultur der Schwa-

ben, die Staatskultur der Preußen, die sittliche Kultur der Nieder-

sachsen, die religiöse Kultur der Thüringer. Daß Schelling und Hegel

Schwaben waren, Bismarck Preuße, Goethe Franke, die Romantiker

Norddeutsche, Mozart, Haydn, Schubert, Bruckner Bajuwaren, Lu-

ther, Novalis und Meister Eckehart Thüringer, das beweist uns die

Sonderart der Teilvolkstümer ebenso wie ihre feste Einheit im Ge-

samtvolkstum; denn die schwäbische Philosophie, die bajuwarische

Musik, die norddeutsche Romantik, die thüringische Mystik sind

Glieder einer höheren Ganzheit und gehören dem g a n z e n deut-

schen Volke. Die Grundzüge der deutschen Kultur sind gemeinsam.

Sehr deutlich wird diese innere Gliederung der Volkheit an der deutschen

Schweiz, deren geistige Sonderart groß ist. Daß ihre Bevölkerung nicht zur

deutschen Volksgemeinschaft gehöre, wäre gewiß nicht wahr und widerspräche

bekanntlich den Anschauungen gerade ihrer bedeutendsten Männer (Conrad Fer-

dinand Meyer, Gottfried Keller!) — trotzdem ein Teil der Bevölkerung geneigt

ist, sich als eigenes Volk zu fühlen. Das bedeutet eben nur, da man über die

Wahrheit nicht abstimmen kann, daß im Volke das S t a a t s b e w u ß t s e i n

über das völkische B e w u ß t s e i n gesiegt hat; nicht aber, daß die objektiven

Zusammenhänge wirklich so liegen, nicht daß eine durchaus wesentliche Ver-

bindung mit dem deutschen Volkstum fehlte. Die Schweizer sind zweifellos

Deutsche, aber von der Eigenart ihres Staates so hypnotisiert, daß sie ihr eigent-

liches Volkstum zum Teil vergessen und sich erst wieder daran erinnern lassen

müssen. Daß dabei die deutsche Schweiz in ihrer geistigen Struktur eine sehr

selbständige Stellung einnimmt, daß sie eine eigene Teilvolkheit bildet — das ist

der eigentliche Schlüssel für dieses schwankende Verhältnis. Ähnlich steht es /

mit dem Elsaß. Würden diese Sonderstellungen noch einen vollen Schritt

weitergetrieben (z. B. in der Schweiz die Mundart zur Schriftsprache erhoben),