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[521/522]

Der zweite Satz besagt, daß Recht im Staate seine Entfaltung und

Verwirklichung erst findet. Es ist dasselbe Verhältnis, das uns bei

„Empfindung und Handlung“, „Satzung und Anstalt“ beschäftigte

1

.

Auch Recht und Staat, in ihrer Eigenschaft als E i n h e i t s -

t r ä g e r gefaßt, unterliegen diesen Sätzen, da die Einheit der

Ziele der Einheit des Handelns logisch vorausgeht.

Wir können nunmehr das Ganze der Vorrangsätze ohne weitere

Begründung hier folgen lassen.

Das Geistursprüngliche ist vor Staat; denn Geistiges ist vor Handeln

2

. Daher

gilt allgemeiner:

Gemeinschaft ist vor Anstalt, daher auch vor der allgemeinen Anstalt, dem

Staate

3

. Ferner gilt:

Sittlichkeit und Recht ist vor Staat; aber Sittlichkeit und Recht will sich in

Staat verwandeln;

Gemeinschaft will sich durch Sittlichkeit und Recht (durch ihre Vollkommen-

heitsordnung) in Staat verwandeln (nämlich: veranstalten).

Eine besondere Stufe (Form) der Gemeinschaft ist das Volkstum (die Ein-

heitsform der Kulturgemeinschaften). Demgemäß gilt: Volkstum ist vor Staat;

aber Volkstum will sich in Staat verwandeln;

Und von den Gemeinschaften gilt — in Weiterverfolgung des obigen Satzes

„Gemeinschaft ist vor Anstalt“ (daher auch vor Staat) und: „Gemeinschaft will

sich durch Satzung (Sittlichkeit und Recht) in Anstalt (Staat) verwandeln“ —

daß ihre Veranstaltung noch durch ihre Einheitsform, nämlich das Volkstum hin-

durchgeht. Daraus folgt:

Wissenschaft will sich durch Volkstum in Staat verwandeln; Kunst will sich

durch Volkstum in Staat verwandeln;

Religion, Philosophie will sich durch Volkstum in Staat verwandeln;

die Bestimmung „durch Volkstum“ schließt den weiteren Durchgang durch

Sittlichkeit und Recht natürlich nicht aus, sie besagt nur, daß alles Geistige

durch das Einheitsgebilde des Geistigen, das Volkstum, hindurchgehen muß,

um veranstaltet zu werden. Die Geschichte bestätigt es, denn alles Geistige und

alle Anstalten der Geschichte haben völkische Art.

Im Verhältnisse der Anstalten (Organisationen) und Stände untereinander gilt:

Der Staat als Höchststand ist vor den anderen Ständen; daher gilt insbe-

sondere:

Staat ist vor Kirche (dagegen Religion ist vor Staat). Staat ist also nur vor

der Veranstaltung der Religion [Kirche], nicht vor der Religion selbst. Indem

Religion vor Staat ist, herrscht gleichsam eine h e i m l i c h e T h e o k r a t i e bei

formeller — allein auf die Ebene des Handelns beschränkter — Staatsherrschaft.

Das ideale Verhältnis von Kirche und Staat wäre dem tiefsten Wesen nach

die T h e o k r a t i e nach dem Vorrange des Metaphysischen über alles Geistige

4

.

1

Siehe oben S. 312 ff. und 518 ff.

2

Siehe oben S. 323 f.

3

Geschichtlich ist geistige wie handelnde Gemeinschaft unv e r a n s t a l -

t e t nicht möglich; daher in der Erfahrung Gemeinschaft und Staat stets zu-

g l e i c h gegeben sind und sein müssen.

4

Vgl. oben S. 409 f.