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[XI/XII]
ihm haben wir das Übergeschicht- / liche, welches allem geschicht-
lichen Wandel der Dinge zugrunde liegt und auf ihre transzenden-
ten Wurzeln deutet, welches auch allein uns den Irrtum erkennen
läßt, der in dem zerstörenden Relativismus der überkommenen Re-
ligionsgeschichte liegt.
Da mögen sich nun Zweifel erheben, wie weit ein solches Ver-
fahren mit wissenschaftlicher Geschichtsschreibung vereinbar sei. Es
ist jedoch unbestreitbar: Ohne ein Übergeschichtliches wird die Ge-
schichtsschreibung, und am meisten die Religionsgeschichte, zum
Feinde der Religion, weil sie sonst durch die stete Veränderung der
Dinge, welche sie darstellt, alle kulturellen Werte, voran die reli-
giösen, relativiert und damit vernichtet. Dies tut seit hundert Jahren
der sogenannte Historismus, eine Geistesmacht, die sich aber nur
als letztes Glied einer langen Kette geistiger Bewegungen erweist,
welche seit der Aufklärung, ja seit der Renaissance der Religion im
Abendlande Schritt für Schritt den Boden abgewannen: Der Ratio-
nalismus, Empirismus, Positivismus, die materialistisch verstandene
Naturforschung, schließlich der Materialismus selbst. Sie alle sind
Kinder eines und desselben Geschlechtes, sie geben seit Jahrhunder-
ten der neuzeitlichen Bildung das Gepräge.
Was war es nur, das diesen Geistesmächten ihre unwiderstehliche
Kraft gab? Wie war die gegen das höhere Wesen des Menschen strei-
tende Entwicklung, welche sie einschließen, möglich?
Unstreitig war es die Fruchtbarkeit aller dieser geistigen Rich-
tungen in der äußeren Sphäre des Lebens, wozu wir auch das ge-
steigerte Naturwissen rechnen müssen, was ihnen stets aufs neue
Geltung verschaffte. Ihr mußte allerdings ein Nachlassen des meta-
physischen Sinnes auf der anderen Seite zuvorkommen. Heute aber
ist ein lange vorbereiteter, schon von der Romantik und dem deut-
schen Idealismus erstrebter, geschichtlicher Wendepunkt erreicht.
Wollen wir unser Zeitalter aus dem Grunde erfassen, so müssen wir
als Entscheidendes festhalten: Alle jene Geistesmächte sind in ihrer
Ursprünglichkeit und ihrer geschichtlichen Fruchtbarkeit erschöpft.
Nicht daß die technischen Fortschritte und die Vermehrung des
äußeren Wissens Stillständen — aber sie sind in ihrer Wirkung auf
den inneren Menschen gebrochen. Dieser gleicht heute dem Ikaros
der griechischen Sage, welcher sich auf mit Wachs befestigten Flü-
geln in den Himmel erhob, aus Übermut der Sonne zu nahe kam