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das ganze alte Leben und geben diesem damit einen so überaus

s a k r a l e n Charakter, wie der neuzeitliche Mensch sich nur noch

schwer vorstellen kann. Hierfür noch einige Beispiele.

Die Kabbala, deren Inhalt auf sehr alte Zeiten zurückweist, er-

klärt die T ä t o w i e r u n g , das ist eine in die Haut eingegrabene

Schrift oder eingegrabene Bilder, damit, daß mit den / dadurch

bezeichneten Gegenständen ein Rapport hergestellt werde

1

.

Die A s t r o l o g i e aller alten Völker, voran der Babylonier und

Ägypter, lehrt einen durchgängigen „Einfluß“ der Gestirne auf den

Menschen, nicht nur bei seiner Geburt, sondern während seines

ganzen Lebens. An die Stelle des Einflusses ist aber wohl genauer

der Begriff der Entsprechungen und des Rapportes zu setzen. Frag-

lich ist bei dieser Lehre allerdings, wie weit jener „Einfluß“ zwin-

gend sei oder der Mensch noch Spielraum für seinen freien Willen

habe — wie denn überhaupt die astrologischen Deutungen der

menschlichen Auslegung zuviel zumuten! Eine Folge des Glaubens

an die stetige Fortdauer jenes Einflusses ist insbesondere das soge-

nannte T a g w ä h l e n , wonach zum Beispiel bei abnehmendem

Mond oder an bestimmten Wochentagen nichts Wichtiges unternom-

men werden soll, Hochzeiten nur bei zunehmendem Mondlicht

stattfinden und dergleichen mehr. (Solche Dinge spielen ja heute

noch im Volksaberglauben eine Rolle.)

Da nach der magischen Weltansicht jedes Wesen, auch des Stein-

reiches, Leben und sogar Geistartiges über sich hat, welches es

regiert, wird jede V e r l e t z u n g v o n N a t u r k ö r p e r n

s o w i e a u c h v o n P f l a n z e n u n d T i e r e n als Verlet-

zung der oberen Prinzipien betrachtet und daher verboten. Von

hier aus ist vornehmlich das alte S t r a f r e c h t zu verstehen! —

Am meisten fällt unter dieses Verbot der Menschenmord, aus dessen

gebotener Sühnung die, nur sakral zu begreifende, Einrichtung der

B l u t r a c h e entstand. „Da der Ermordete nicht eher zur Ruhe

gelangen kann, bis der Mörder gerichtet ist, so ist der nächste An-

verwandte und Erbe des Getöteten, welcher mit demselben als eine

Person zu betrachten ist, verbunden, den Mörder zu verfolgen, um

die Seele seines Verwandten zur Ruhe zu bringen“, belehrt uns

1

Franz Joseph Molitor: Philosophie der Geschichte oder über die Tradition,

Teil 3, Münster 1839, S. 330.