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wissenschaftliche Erkenntnis beruht auf der Feststellung der ä u ß e r e n

A b f o l g e der Erscheinungen in ihrer Regelmäßigkeit (Beispiel: die

Abfolge der Stadien des freien Falles nach gleichförmiger Beschleuni- /

gung = „Fallgesetz“). Ihre innere Wesenheit bleibt unverstanden. Die

gesellschaftswissenschaftliche Erkenntnis beruht auf dem inneren

Mitwissen vom Gegenstande. Sie schöpft aus dem Erlebnis: wir erkennen,

indem wir unseren Gegenstand von innen her verstehen — auf andere

Weise e n t s t e h t uns der Gegenstand der Gesellschaftswissenschaft

überhaupt nicht.

Daher, wenn wir nicht innerlich wüßten und verstünden, was Recht

sei, und etwa bloß das äußerliche Gehaben des Richters, Rechtsanwaltes,

Gesetzgebers usw., vor Augen hätten, es nur wie die Bewegungen einer

Gliederpuppe betrachtend, so könnte das Recht auch niemals Gegenstand

rechtswissenschaftlicher Erkenntnis sein; wenn wir nicht innerlich

wüßten und verstünden, was Wirtschaft sei, und etwa bloß das äußerliche

Gehaben eines Kaufmannes am Fernsprecher vor Augen hätten, es nur wie

die Bewegungen einer Gliederpuppe betrachtend, so könnte die

Wirtschaft niemals Gegenstand wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnis

sein; und so geht es fort durch alle Erscheinungen der Gesellschaft wie

Staat, Politik, Krieg, Organisation, Geselligkeit. Erfaßten wir den

Gegenstand nicht innerlich, so g l i c h e d i e G e s e l l s c h a f t

e i n e m P u p p e n t h e a t e r , d a s e i n S t ü c k a u f f ü h r t ,

w e l c h e s w i r n i c h t v e r s t e h e n . Jeder kennt aus dem

Lesebuch her die Parabel von Friedrich Rückert über die Spieler. Zuerst

schildert er ihre wunderlichen äußerlichen Bewegungen, bis es nach

manchem vergeblichen Fragen und Raten schließlich heißt, „was tun sie

denn? — Sie spielen!“ Damit ist der Schlüssel für die früher

unverstandenen, weil mechanisch gesehenen Bewegungen gegeben.

In

jedem

Denken,

ob

gesellschaftswissenschaftlich

oder

physikalisch-naturwissenschaftlich,

sind

zwei

Grundbestandteile

auseinanderzuhalten, das zerlegende, verknüpfende oder diskursive und

die Eingebung oder das einblickende, intuitive Denken.

Das zerlegende Denken nimmt einfach den Stoff auf, der durch

(früheren) E i n b l i c k in das Wesen der Sache schon begriffen,

Verfahrens. Heute ist diese Frage in Fluß gekommen. Dem Leser von heute ist der

Unterschied des naturwissenschaftlichen (des ursächlich-mechanischen) und des

geisteswissenschaftlichen (ganzheitlichen) Verfahrens schon geläufiger.