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E r s t e r A b s c h n i t t

Welche Hauptrichtungen der Gesellschaftslehre gibt es?

Trotz vielfältigster wissenschaftlicher Arbeit und schier unermeßlicher

Stoffanhäufung

im

englischen,

amerikanischen,

französischen,

italienischen und deutschen Schrifttum der Gesellschaftslehre während

der letzten 60 Jahre ist es zu einer allgemein anerkannten Unterscheidung

der Schulen bisher noch nicht gekommen, geschweige denn zu einer

allgemein anerkannten Form der Gesellschaftslehre selbst.

Man gewinnt aber einen Überblick dadurch, daß man auf die letzten

U n t e r s c h i e d e d e r V e r f a h r e n zurückgeht und zuerst alle jene

Richtungen

zusammenfaßt,

die

auf

e m p i r i s t i s c h e m

(naturalistischem) Boden stehen, diesen dann alle jene Richtungen

gegenüberstellt, die auf n i c h t - e m p i r i s t i schem (auf idealistischem)

Boden stehen

1

. Die empiristischen Richtungen wollen die

Gesellschaftslehre nach Art der Naturwissenschaften begründen, als

induktiv und ursächlich, das ist als ursächlich-mechanische

Gesetzeswissenschaft, ähnlich der Physik, Chemie oder der Biologie (diese

rein kausal mechanisch gefaßt, wie es bis vor kurzem fast allgemein

geschah, nicht vitalistisch). Die nicht- empiristische Gesellschaftslehre,

wie wir sie z. B. bei Platon, Hegel

1

Daß „Empirie“ und „Empirismus“ nicht dasselbe sind, möge hier zum Überfluß

ausdrücklich zu bemerken erlaubt sein. „Empirie“, „empirisch“ (von

έμπειρος,

kundig) heißt

nur: „Erfahrung“, „erfahrungsmäßig“; „Empirismus“ dagegen ist eine bestimmte

philosophische E r k l ä r u n g der Erfahrung als E r k e n n t n i s . Er ist also eine

Erkenntnistheorie, und zwar jene, welche die Erkenntnis bloß aus dem äußeren Stoffe der

Erfahrung, also zuletzt den Sinneseindrücken, erklärt („Sensualismus“) und sie daher auch

deren Zufälligkeiten und Wechsel preisgibt („Relativismus“). „Empiristisch“ heißt die

Anwendung dieser Erkenntniserklärung auf das V e r f a h r e n der Forschung (sie führt

hauptsächlich zur „Induktion“), ist also ein methodologischer Begriff.

Jede echte Wissenschaft wird die Erfahrung befragen; aber nicht jede wird die

empiristische Erklärung der Erfahrung zur Grundlage der Forschung machen.

Vgl. auch unten S. 122 ff. und S. 67 f.

2

*