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Darum ist uns der Raum nur von außen her, nur durch äußerliche,

sinnliche Wahrnehmung bekannt, innerlich aber fremd. Darum ist

der Raum eine sinnliche „Anschauungsform“, wie ihn Kant richtig

bestimmte, aber nicht auch die Zeit, wie Kant ebenfalls wollte, son-

dern diese ist eine Setzungsform des Geistes selbst.

Der Mensch hat zur Zeit ein unmittelbares, zum Raum nur ein

mittelbares Verhältnis. Denn die räumliche Welt wird nicht vom

Geiste ausgegliedert. Nie und nirgends hat sich ein Geist „verräum-

licht“, „verkörpert“, wie sich uns auch in anderen Zusammen-

hängen ergab

1

.

Es wird der hohen Stellung des Geistes in der Welt ein schlechter

Dienst erwiesen, wenn man aus ihm selbst den Stoff und den Raum

ableitet. Geist kann nur Geist ausgliedern, er kann niemals Räum-

liches und Stoffliches ausgliedern, wie immer wiederholt werden

muß.

I. Lehrgeschichtliche Vorbemerkung

Die Lehrgeschichte des Raumes ist von zwei Grundfragen be-

herrscht: (1) Ist der Raum ohne das Subjekt, ist er für sich selbst

etwas Wirkliches, Übersubjektives? (ontologische Auffassung, auch

transzendente Auffassung genannt); oder ist er nur ein subjektives

Apriori, eine Bewußtseinsform? (apriorische Auffassung); (2) ist der

Raum, werde er nun ontologisch oder apriorisch verstanden, ohne

die Dinge, als leerer Raum, zu / denken, als Raum, in den die Dinge

erst nachträglich hineinkommen, oder sind es die Dinge, die den

Raum bilden? — Beide Grundfragen können unseres Erachtens

nicht aus der Zergliederung unserer Raumerfahrung allein heraus

entschieden werden

2

; sie müssen zuletzt aus dem Ganzen einer

Philosophie entschieden werden. Unsere Auffassung, die wir nun

begründen müssen, geht dahin, daß der Raum keine bloße Bewußt-

seinsform und auch kein leerer Raum ist, sondern den Naturdingen

zukommt. (Transzendenter und dinglicher Raumbegriff.)

1

Vgl. oben den Abschnitt „Gezweiung höherer Ordnung“, S. 167 ff., ferner

oben S. 334 ff. und unten Sechstes Buch: Ideenlehre, Abschnitt V, S. 439 ff.

2

Wie man vielleicht aus dem Kampfe um den Raumbegriff in der heutigen

Seelenlehre schließen möchte. — Siehe S. 359, Anmerkung 1.