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Durch die einfache Umkehrung der Jenseitigkeit in eine Dies-

seitigkeit oder Einwohnung (Immanenz) der Idee im Dinge lassen

sich aber die genannten Schwierigkeiten keineswegs lösen. Die

Hauptschwierigkeiten des Begriffes der Einwohnung, wie ihn Ari-

stoteles der Transzendenz entgegenstellte, wurden gleichfalls schon

früher in mehreren Zusammenhängen entwickelt. Es ist der Verlust

des Allgemeinen, der sich aus der Einwohnung ergibt. Wenn jedem

Dinge eine Idee innewohnt, so werden die Ideen ebenso vereinzelt

wie es die Dinge selbst / sind. Die einzelnen Dinge ohne allge-

meine Idee sind aber nicht erkennbar. Diese Ansicht führt auf den

N o m i n a l i s m u s , das Gegenteil der Ideenlehre

1

! Ferner er-

gibt sich eine unnütze Verdopplung der Welt, wenn einem jeden

Dinge eine ihm genau gleiche Idee beigegeben wird. (Gerade dieser

Vorwurf fällt also in etwas geänderter Form auf Aristoteles zu-

rück.) — Endlich ist es der Pantheismus, zu dem die Einwohnung

der Idee dadurch führt, daß jede Idee in ihrem Dinge untergeht,

denn sie hat außerhalb des Dinges kein Sein. Gerade das aber ist

Pantheismus, daß der Schöpfer nur in dem Geschöpfe wohnen und

für sich selbst nicht sein soll! — Auch der wahre Substanzbegriff

löst sich damit auf, er wird dem Mechanismus des Dinges selbst

Platz machen. — So wenig alle diese Folgerungen im Sinne und in

der Absicht des Aristotelischen Systems lagen, sie liegen doch unwei-

gerlich in der Immanenz beschlossen.

Die unüberwindlich scheinenden Schwierigkeiten der Jenseitig-

keit und Einwohnung lösen sich durch den B e g r i f f d e r

G a n z h e i t , wenn man ihn in seiner Tiefe erfaßt und in ihm

nicht nur die Ausgliederung, sondern auch die Rückverbundenheit

erkennt. Im Begriffe des Ganzen mit seinen Gliedern liegt sowohl

die Jenseitigkeit wie die Einwohnung in höherer Einheit beschlos-

sen. Das zu beweisen ist die entscheidende begriffliche Aufgabe un-

serer Ideenlehre.

Kein Ganzes ist denkbar, ohne sich von einem höheren Ganzen

befaßt zu finden. In der „Befaßtheit“ liegt, daß dem niederen Gan-

zen das höhere innewohnt. So finden wir einen Menschen als „Krie-

ger“ nur dadurch, daß ihm die höhere Ganzheit „Heer“ innewohnt;

als Staatsbürger (zum Beispiel indem er „zur Wahl schreitet“) nur

1

Siehe oben S. 424 f.