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Stimme, ungerufen, spricht. Ist doch auch im gesamten Schrifttum,

sowohl künstlerischer als gelehrter Art, immer wieder von dem

Halbbewußten, Träumerischen, Nachtwandlerischen im mensch-

lichen Schaffen die Rede. Und dieses Träumerische und Übermäch-

tige gilt überall als Zeichen des echten Schaffens, während das Vor-

gesetzte, Rationale, das klar Bewußte und Mühsame nur „Schreib-

tischkunst“, nur „Mache“, nichts wahrhaft Schöpferisches ist. Die

Erleuchtung, das Gesicht, die Anwandlung „überfallen“ den Men-

schen und was er später in planvollem Schaffen daraus machen wird

— ist schon vorgeschaffen.

Von welcher Art ist nun die Schaffenskraft des Menschen? Wir

bezeichnen sie als abgeleitet, weil sie nach einem Vorbilde schaffen

muß. Was heißt das? In welchem Sinne bleibt hier noch echte Schöp-

ferkraft übrig? Dies haben wir nun genau zu zeigen.

Zuerst ein Beispiel. Wenn ich einem Steine etwas vorsage, kann

er es nicht nachsagen; wenn ich einem Kinde etwas vorsage, kann

es das nachsagen. Das „Nachsagen“ ist nun auch eine schöpferische

Tat, wie einfach sie auch sei. Es ist schöpferisch, trotzdem das von

dem Kinde Gesagte diesem vorgesagt wurde. Das Nachsagen ist

echte Schöpfung, es ist ein Funke göttlicher Schöpferkraft, der sich

hier zeigt. Der Unterschied des abgeleiteten Schaffens vom gött-

lichen Urschaffen liegt darin, daß das Geschöpf gleich dem Kinde

nur das Vorgesagte nachsagen, nur das Eingegebene selbst erzeugen

kann. — Wenn im Nach- / sagen des Kindes echte Schöpferkraft

liegt, so muß auch ein Neues darinnen liegen. Denn Schöpfung för-

dert immer Neues zutage, das vorher nicht war. Das Neue liegt

darinnen, daß das Nachgesagte selbst erzeugt wurde, frei erzeugt

wurde, nicht aus mechanischer, äußerlicher Umwandlung von ande-

rem (nicht aus Gips oder Stein) gemacht wurde. Was dem Steine

vorgesagt wurde, wird nicht nachgesagt, warum? — weil der Stein

die Schöpferkraft nicht aufbringt, weil er das Vorgesagte nicht selbst

neu erzeugt. Daraus ersieht man, daß das Nachsagen eine eigene

Schöpfertat war. Das Kind mußte es selber tun, niemand anderer

kann es für dasselbe tun und auch ein mechanischer Vorgang, ein

„Echo“, vermöchte es nicht. Dieses Tun ist Selbstsetzung, Sponta-

neität, Selbstwirksamkeit — wenn auch eines solchen Inhaltes, der

als Vorbild vor ihm steht. Nicht der Inhalt des Tuns macht hier das

Neue, Schöpferische; sondern das Selbstsetzende des Tuns macht es;