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kens als Schaffen aus Geschaffenwerden, daher überall wieder be-

gegnen, so gut in der Geisteslehre, wie in der Sittenlehre und Ge-

sellschaftslehre und Geschichtslehre. (Von einem anderen wesent-

lichen Punkte dieses Vorganges: daß das Handeln erst die Ausge-

staltung, die Vollendung des eingegebenen Gedankens, das Schaffen

erst die Aktuierung des Geschaffenwordenseins bedeutet, sehen wir

an dieser Stelle ab

1

.)

/

Hiermit ist der Begriff des abgeleiteten Schaffens klargestellt.

Nicht der Umstand zeigte sich als das Entscheidende, daß der Mensch

nur mit Stoffen und Werkzeugen schaffen kann, die er vorfindet

(der Urschöpfer dagegen auch die Werkzeuge und Stoffe erschafft);

sondern jener andere: daß der Mensch auch das, was er schafft, in

sich vorfinden muß, während der Urschöpfer sein Bild von nieman-

dem empfängt. Aus diesem „Vorfinden“ folgt auch das G e b u n -

d e n s e i n d e s M e n s c h e n w i e j e d e s W e s e n a n s e i n e

G a b e . „Alles ist nach seiner Art“, nach der Art der Grundgabe,

des Geschaffenwerdens.

Darum sehen wir, wie der Mensch überall in seinem Schaffen „hinblicken“

muß auf das, was er darstellen, was er (ausführend) schaffen soll: der Maler auf

sein inneres Bild, der Dichter auf sein Erlebnis, der Gelehrte auf seinen Einfall

(der gleich sehr Erlebnis wie Gedanke ist), der Held auf seine ihn belebende

Aufgabe. Dies gilt gleich sehr für das Denken wie für das Wollen. Was im Denken

die Erleuchtung ist, wird im Wollen zur Führung und Begeisterung. Überall kann

sich der Mensch nur im Nachbilden des in ihm Vorgeschaffenen selber „schaf-

fend“ verhalten. Daß dem Menschen die Freiheit verbleibt, willfährig und treu

zu schaffen, oder mißzuschaffen oder sich spröde und träge zu erweisen, soll aber

nie vergessen werden

2

. Ja, in diesem Sinne muß sogar der Einfall verdient, muß

das Vorgefundene schon vorher gesucht, erahnt, vorbereitet worden sein. Was

der Mensch und jedes andere Wesen in seinem Schaffen tut, ist durch die Ab-

bildlichkeit eines Urbildes, durch die Ausgeburt einer inneren Befruchtung be-

stimmt.

Dieses Bild des Schaffens, das wir vom menschlichen Geiste her-

genommen, gilt es nun in seinen Grundbestimmungen zur Erklä-

rung des gesamten Seins festzuhalten.

Was von den höchsten Schaffenszuständen gilt, gilt vom Sein

1

Siehe unten S. 71 ff. und Viertes Buch, Geisteslehre, „Das innere Schauen“,

S. 201 f. und 207 ff., ferner meine Gesellschaftsphilosophie, München und Berlin

1928.

2

Wenn man aus dem Stufenbau des Geschaffenwerdens und Schaffens die

Freiheit ausschaltet, entstellt man den ganzen Seinsbegriff und kommt wieder zur

Vorstellung eines Mechanismus von Kräften oder Stoffen. — Vgl. mein Buch: Ka-

tegorienlehre, 2. Aufl., Jena 1939, S. 140 ff., und unten Viertes Buch, Geisteslehre.