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aber alte in Schwebe gesetzt, zurückgesetzt wurden. Es ist kein Mehr an Merk-

malen, sondern Merkmale anderen Stufenwertes, was hier in Frage steht.

Noch ein Beispiel für den Einzelbegriff. Denkt man den einzelnen Menschen

für sich, so kann man auch das nur dadurch tun: daß man Staat und Gemein-

schaft nicht wegläßt — das täte der schlechte Individualismus — sondern sie als

bestimmend und mitenthalten mitdenkt — jedoch im Schwebezustande, der An-

lage nach. Indem man Mozart mit dem Requiem, Eichendorff mit seinen Natur-

liedern denkt, denkt man ein Einzelnes, in dem aber Allgemeines, höhere

Ganzheit („musikalische Kultur Wiens und Deutschlands jener Zeit“, „Deutsche

Romantik") mitenthalten ist, dabei aber in Schwebe bleibt.

Immer ist es, wie diese Beispiele lehren, ein und dasselbe Denken,

das uns begegnet. In jedem Denkakte, in jedem Begriffe ist sowohl

das Höhere wie das Niedere mitgedacht, ist jeweils ein Konkretes

mit verschiedenem Stufenwerte gegeben. Die jeweilige Ausgliede-

rungsfülle und Ausgliederungsmacht sind es, welche die Merkmale

der höheren wie der niederen Ganzheit bezeichnen. Die Ganzheit

soll nicht nur eingeteilt, sondern als tätig aufgezeigt werden.

Daher nennen wir die Gattung oder die höhere Stufe in ihrem

Verhältnisse zur niederen Stufe das befassende, erzeugende Allge-

meine und stellen diesen Begriff dem Abstrakt-Allgemeinen oder

leeren oder statistisch Allgemeinen der empiristischen und nomina-

listischen Logik gegenüber. Die jeweils niedere Stufe erscheint uns

als das befaßte, ausgegliederte oder e n t h a l t e n e B e s o n d e r e ,

nicht aber als das für sich Besondere, Getrennte, Ungliedhafte oder

Reineinzelne.

In der a r i s t o t e l i s c h e n , s c h o l a s t i s c h e n , n e u s c h o l a s t i -

s c h e n L o g i k , die bekanntlich, von der Gattung ausgehend, durch die

stufenweise Hinzufügung des artbildenden Unterschiedes, der „differentia spe-

cifica“, die Unterarten und Einzelwesen bestimmt; ferner in der Schelling-

Hegelischen Logik sind die oben entwickelten Gedankengänge durchaus vor-

handen. Sie wurden aber, da der Begriff der Ganzheit nicht planmäßig verfolgt

wurde, / nicht überall in voller Klarheit festgehalten und angewandt. Schon die

Vorstellung des „Hinzutretens“ einer „differentia specifica“ ist nicht glücklich —

denn diese muß ja in der höheren Stufe angelegt, vorgesehen sein (bleibt aber

dort noch in Schwebe)! Sie tritt also nicht „hinzu“, sondern heraus! Es ist die

Fortgliederung, die H e r a b g l i e d e r u n g des höheren zum niederen Ganzen,

welche die differentia specifica also nur anzeigt. Damit erscheint aber das All-

gemeine sowohl als das Erzeugende, Ausgliedernde, wie auch notwendig als ein

jederzeit Konkretes. So auch bei A r i s t o t e l e s , trotzdem dort der Fehler

hinderlich wurde, nur das Einzelwesen für wirklich, das heißt konkret zu er-

klären

1

. (Darum bei Aristoteles die Schwierigkeit gewissen nominalistischen Ge-

dankengängen gegenüber, z. B. in der Psychologie).

1

Die Nachweise vgl. bei Matthias Kappes: Aristoteles’ Lexikon, Paderborn

1894, S. 42 f.