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Bei H e g e l findet sich der Begriff des realen oder erzeugenden Allgemeinen

als der Gattung klar entwickelt

1

. Aber indem seine „Logik" mit dem Begriff des

leeren Seins begann (statt mit dem des vollen Seins); indem seine „dialektische

Methode“ mit dem Begriffe der (verhältnismäßig noch leeren) „Setzung“ begann,

statt mit dem der „Synthesis“, in dem allein Fülle ist (die Setzung ist leer, nur

die Ausgliederung, die alle späteren Setzungen in sich enthält, ist voll); und

indem endlich auch seine Psychologie mit der Sinnesempfindung den (empiri-

schen oder gar logischen) Anfang machte

2

, wurde der Gewinn jenes echten realen

Allgemeinbegriffes wieder geschmälert.

2. Lehrbegriff und Geschichte

Der Gegensatz von allgemein und einmalig, wie ihn die bisherige

Logik auffaßte, ist ihr begreiflicherweise auch grundlegend für den

Gegensatz von Lehrbegriff (Theorie) und Geschichtsschreibung.

Aber unsere wenigen Bemerkungen werden wohl genügen, um

zu zeigen, daß das rein logische Verhältnis von Lehrbegriff (Theorie)

und Geschichte nicht in dem Sinne besteht, wie es die empiristische,

die neukantische und insbesondere auch die Windelband-Rickertische

Logik auffaßt. Der Begriff der / Ganzheit lehrt, daß auch rein lo-

gisch und verfahrenmäßig der Gegensatz von Theorie und Geschich-

te, von allgemein und einmalig, kein ausschließender ist. Es gibt

nur Eine Ganzheit, und diese Ganzheit ist auf allen Stufen sowohl

einmalig wie allgemein zugleich. Es gibt nur eine Begriffsbildung,

die Konkretes allgemein (als Ausgliederungstat — auf der höheren

Stufe) und Allgemeines konkret (als Ausgliederungsergebnis — auf

der niederen Stufe) denkt. Gäbe es eine rein allgemeine und gäbe

es eine rein konkrete Begriffsbildung, so könnten, wie wir oben

3

entwickelten, beide Betrachtungsweisen niemals Zusammenkommen.

Es gäbe keinerlei Möglichkeit für eine Geschichte, in der Allgemei-

nes gedacht würde, und keinerlei Möglichkeit für eine begriffliche

Wissenschaft, die irgendein Geschichtliches in sich aufnähme.

Hieraus allein läßt sich auch das S y s t e m d e r G e i s t e s -

w i s s e n s c h a f t e n verstehen, das überall Lehrbegriff und Ge-

1

Georg Friedrich Wilhelm Hegel; Enzyklopädie der philosophischen Wissen-

schaften im Grundrisse, § 163 ff.

2

Georg Friedrich Wilhelm Hegel: Phänomenologie des Geistes (1807), her-

ausgegeben von Georg Lasson, S. 65 ff. (= Philosophische Bibliothek, Bd 114);

Enzyklopädie, §§ 418 ff.

3

Siehe S. 83 ff. und 90.