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Religion und Wissenschaft; sei es durch Darstellung und bildnerische

Verwirklichung, wie in der Kunst; sei es durch äußeres Handeln,

wie in Staat, Krieg, Sippe, Wirtschaft.

Das ist der geschichtliche Sinn des Wortes, daß der Mensch sein

Pfund nicht vergraben, sein Licht nicht unter den Scheffel stellen

solle; es deutet auf den geschichtlichen Auftrag des Menschen, ähn-

lich wie der Satz: „Was im Schauen angesammelt wurde, fließt in

Wirken über." Diese Sätze gehen eben darum auch nicht auf ein

naturalistisches Wirken (ohne Selbstsetzung) und auch nicht auf ein

bloßes Wirken in der äußeren Natur hin; sondern auf die Notwen-

digkeit der A u s w i r k u n g der veränderten Gliedhaftigkeit des

im Schauen Erhöhten in die zeitliche Ganzheit, in die Geschichte.

Diese Auswirkung, die Weltarbeit des Einzelnen, ist die Bezahlung

des Zinshellers an den Herrn (an die Ganzheit).

Doppelt ist die Mitteilung an die anderen Wesen und das Zu-

sammenbestehen der Wesen als Welt dadurch gesichert, daß schon

die Annahme der Eingebung selbst wieder an die Gezweiung ge-

bunden ist. Die Auswirkung dieser Annahme sodann schafft aber-

mals Gezweiung, denn sie vollzieht sich ja in der Form der Mittei-

lung an andere Wesen. Was wir von der heiligen Gertrud lesen, wie

sie, trotz ihres Strebens zu schauendem Leben, „brennend nach dem

Heil aller“

1

war, hat einen tiefen Sinn. Denn durch Gezweiung ist

der Mensch dem Menschen, dem geistigen All, zuletzt der Geschichte

tief ver- / bunden. „ I c h b i n a u c h d e r a n d e r e “ , folgt aus

der Gezweiung. Das Ich lebt nicht von sich allein. Das Heil der an-

dern ist auch mein Heil. Daher eine Rückverbundenheit ohne Aus-

gliederung, e i n e S e l b s t v e r t i e f u n g o h n e M i t t e i -

l u n g a n d i e a n d e r e n W e s e n u n d d a m i t o h n e

U m g l i e d e r u n g d e r G a n z h e i t , s c h l e c h t h i n n i c h t

s t a t t f i n d e n k a n n .

Aus dieser Zwiegestaltigkeit des Menschen folgt, daß uns auch

überall nur zwei letzte Grundtugenden entgegentreten: Im Wirken

nach außen das H e l d e n t u m , in der Verinnerlichung die H e i -

l i g k e i t . Daher auch Heiligkeit und Heldentum nicht zwei Tu-

1

Der Heiligen Gertrud der Großen Gesandter der göttlichen Liebe, deutsch

von Johannes Weißbrodt (1876), 6. und 7. Aufl., Freiburg im Breisgau o. J.

(1920), S. 30.