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Sacherfordernisse der G a n z h e i t sind es, was die „Wesentlich-

keit“ des Zweckes, was die inneren Maßstäbe des gegebenen Gegen-

standes bestimmt. — Geht dann der Geschichtsschreiber zu einem

anderen System über, etwa von der Aufklärung zur Romantik, so

wird er ebenso verfahren müssen.

In dem Wechsel dieser Maßstäbe liegt an sich noch k e i n R e -

l a t i v i s m u s . Denn außer jenen Maßstäben, die den jeweils / ge-

gebenen Ganzheiten des Geschichtsschreibers selbst innewohnen, sind

— nach demselben ganzheitlichen Grundsatze — noch andere er-

forderlich: jene der Ü b e r g a n z h e i t e n . Alle die genannten

Ganzheiten stehen in einem Zusammenhange mit anderen, die idea-

listischen Systeme mit idealistischen, die naturalistischen mit natura-

listischen. Der G e s c h i c h t s s c h r e i b e r m u ß d a h e r s e i -

n e n G e g e n s t a n d n i c h t n u r i n s i c h s e l b s t g e -

g l i e d e r t e r f a s s e n , s o n d e r n e r m u ß i h n a u c h i n

s e i n e m h ö h e r e n u n d i m m e r n o c h h ö h e r e n

G a n z h e i t s z u s a m m e n h a n g e u n d z u l e t z t i n ü b e r -

z e i t l i c h e m L i c h t e s e h e n . Jene größeren ganzheitlichen,

zuletzt überzeitlichen Zusammenhänge, auf welche die einzelnen

Kulturen, Ganzheiten, Teilinhalte, Kunststile hinweisen, geben ihm

den Standpunkt, den er einnehmen und den Gliederbau der Maß-

stäbe, die er anwenden muß.

Und dann ist noch ein Letztes erforderlich: in dem Zwiespalte

der letzten Systemgedanken und Systemzusammenhänge, die überall

wiederkehren und über die Zeiten hin wirken — in diesem Zwie-

spalte muß er auch Partei nehmen. Noch nie hat es, wie wir schon

hervorhoben, einen Geschichtsschreiber gegeben, der seine Entschei-

dung nicht getroffen hätte. Ein „neutraler“, „parteiloser“, „stand-

punktloser“ Geschichtsschreiber wäre ein hölzernes Eisen. Stand-

punktlosigkeit ist kein Standpunkt. Sofern von sogenannten „un-

parteiischen“ Geschichtsschreibern überhaupt Geschichte geschrieben

wird, haben sie in Wahrheit doch einen Standpunkt: meistens ist es

nämlich der einer jeweils „mittleren Linie“ ihrer Zeit, heutzutage

also etwa verwaschener Liberalismus, verwaschener Materialismus,

Marxismus.

Es ist nicht richtig, was der „Historismus“ von heute so oft be-

hauptet, daß die Geschichtsschreibung nur vom Standpunkte der je-

weiligen Gegenwart ausgehen könne, also im Grunde — auf Relati-