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B.

Die M a ß s t ä b e d e r G e s c h i c h t s s c h r e i b u n g

Indem sich die Umgliederung in Gründung und Entfaltung der

Ganzheiten wie ihrer Glieder vollzieht, ist auch die vielumstrittene

Frage der „Maßstäbe“ der Geschichtsschreibung auf eine feste Grund-

lage gestellt. Eine „standpunktlose“, das heißt ohne feste „Maß-

stäbe“, ohne „Werturteile“ arbeitende Geschichtsschreibung ist un-

möglich, wie schon die Worte „Verfall“, „Aufschwung“, „Zusam-

menbruch“, „Gesundung“ und so fort beweisen, ohne die doch in

Wahrheit kein Geschichtsschreiber, und wäre er der „unparteiische-

ste“, auskommt. — Wären aber die Maßstäbe notwendig bloß sub-

jektiv, dann würde die Wissenschaftlichkeit / der Geschichte damit

aufgegeben. Aber dem ist nicht so. Die M a ß s t ä b e l i e g e n

i n d e n G a n z h e i t e n s e l b s t , in den gegenständlichen Aus-

gliederungs- und Umgliederungserfordernissen, anders gesagt, im

S a c h g e h a l t d e r G a n z h e i t e n . Denn stets sind es sinn-

volle Wesensinhalte, aus denen heraus die Ganzheiten bestimmte

Umgliederungen fordern. Wie der leibliche Organismus die ihm

gemäße Nahrung, die ihm sachgemäße Lebensführung (Umgliede-

rung) aus seinem Sachgehalte heraus fordert, so auch die geistigen

Ganzheiten. Zum Beispiel kann die Philosophie der Aufklärung nur

von jenen inneren Begriffszusammenhängen, jenen inneren Erkennt-

niserfordernissen her, die aus ihr selbst, ihrem Systemgedanken ent-

springen, dargestellt werden; ebenso der naturrechtlich gedachte

Staat; ebenso ein Kunststil aus seinem Stilgedanken; ebenso das

Werk eines Schillers, Goethes. Der Geschichtsschreiber der Aufklä-

rungsphilosophie und des aufklärerischen Staates wird nicht etwa

Berichtigungen oder Verbesserungen der dargestellten Lehrgebäude

und Staatsgebäude im idealistischen Sinne anbringen. Im Gegenteile:

er wird das an den Systemen, was den inneren Begriffserfordernis-

sen entspricht, herausheben und über die Schwächen, über das da-

hinter Zurückbleiben eher hinweggehen. Desgleichen im Falle eines

Kunststils; eines großen Kunstschaffens. Die A u f g a b e d e s

G e s c h i c h t s s c h r e i b e r s b e s t e h t d a r i n , z u e r -

k e n n e n , w a s d e r E r n s t d e s S y s t e m s i s t ; das heißt,

was das an dem wesenhaften Systemgedanken Gemessene jeweils

Ganzheitsnahe ist. Nicht etwa „ Z w e c k Wesentlichkeit“, noch we-

niger „ Z w e c k Ursachen“, sondern umgekehrt erst die jeweiligen

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