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Kulturleben (Wissenschaft, Kunst); die Aufklärer können nur einen

äußeren Ausgleich, keine innere Versöhnung zwischen diesen Mäch-

ten finden, da der Staat nur als ein äußerlicher Mechanismus er-

scheint, als ein notwendiges Übel (durch Vertrag aus Not gegrün-

det) die Freiheit des Einzelnen einschränkt und das Geistesleben des

Einzelnen wie des gesamten Volkes sich außerhalb des Staates voll- /

zieht

1

. — Der K a n t i s c h e Gegensatz zwischen Recht („Legalität“)

und Sittlichkeit („Moralität) beherrscht noch heute die Rechtswis-

senschaft, die darin eine unaufhebbare Spannung von Kulturgebie-

ten erblickt. — Selbst bei F i c h t e ist der Gegensatz von Staat und

Sittlichkeit, Staat und Religion, Staat und Wissenschaft (auch noch

in seinen späteren Schriften) von der aufklärerischen Einstellung

her zurückgeblieben, trotzdem für Fichte der Staat kein äußeres

Vertragsgebilde mehr ist, sofern er ihn in den „Reden an die

deutsche Nation“ mit dem Volkstum und der Erziehung wesenhaft

verbindet, also unter diesen Teilgebieten der Kultur die Spannungen

bereits versöhnt. Aber die Spannungen zwischen den anderen Kul-

turgebieten und dem Staate blieben ihm bestehen, was vielleicht

der Schlüssel dafür ist, daß Fichte noch in den „Reden" erklärt, es

sei die Aufgabe des Staates, sich zuletzt überflüssig zu machen. —

Solche grundsätzliche Gegensätze finden wir nicht mehr bei No-

v a l i s , nicht mehr in der R o m a n t i k , nicht mehr bei dem

S c h e l l i n g der „Vorlesungen über die Methode des akademi-

schen Studiums“, nicht mehr bei H e g e l , nicht mehr bei B a a -

d e r . — A d a m M ü l l e r s oft abgewandelte Forderung von der

„Einheit aller Seiten des Lebens", insbesondere der Kunst und des

Lebens, gehört zum tiefsten Wesen der Romantik. Im späteren

Schelling bricht freilich wieder der Gedanke der Tragik und der

Unstimmigkeit im Geschichtsleben, auch dem Staate gegenüber,

auf.

Im

h e u t i g e n

p h i l o s o p h i s c h e n ,

g e s c h i c h t l i c h e n

u n d

s o z i o l o g i s c h e n

S c h r i f t t u m

pflegen

grundsätzliche

Widersprüche

zwischen den Gesellschaftsgebieten als selbstverständlich angenommen zu werden.

Wir erblicken darin, das sei vorweg gesagt, im wesentlichen nichts anderes als

das Erbe der Aufklärung. Das heutige Schrifttum findet: Religion im Wider-

spruch mit der Wissenschaft, der Vernunft überhaupt — der viel berufene „Ge-

1

Diesen Grundgegensatz drückt der Name einer Schrift von Herbert Spencer

aus: The man versus the state (1879).