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widerspricht. Findet ein solcher Widerspruch statt, so bedeutet das

etwas Wesenswidriges, meist einen Bruch, aus dem Spannungen

hervorgehen, die wieder überwunden werden müssen, soll das

Ganze weiterleben und nicht verkümmern oder zerstört werden.

Die geschichtliche Wirklichkeit ist allerdings voll von Spannungen

zwischen allen Teilgebilden der Gesellschaft, da das Vollkommene

nie und nirgends verwirklicht wird. Weder erlebt der Mensch in

der Religion das Göttliche vollkommen, noch besitzt er in der

Wissenschaft die ungetrübte Wahrheit, noch in der Kunst die reine

Schönheit, noch in Sittlichkeit und Recht und Staat die makellose

Gerechtigkeit. Sind einmal die Spannungen der Kulturgebilde da,

dann müssen sie nicht erst aus neuen Brüchen entstehen, sondern

sie bestehen kraft der Verschiedenheit der mittelbaren U m g 1 i e -

d e r u n g s f o l g e n der alten Brüche in verschiedener Art und in

verschiedenem Maße auf den einzelnen Gebieten weiter. Denn

dem Eigenleben der gesellschaftlichen Teilgebiete kommen v e r -

s c h i e d e n e Z e i t m a ß e in der Umgliederungfolge zu. — Den

wesensgemäßen Einklang aller gesellschaftlichen Inhalte und Gebiete

fordern die Menschen überall aus der Selbstverständlichkeit des un-

verdorbenen Empfindens und Denkens heraus. Wie einleuchtend

klingt nicht das Lied von Claudius:

„Die Barden sollen Lieb und Wein,

Doch öfters Tugend preisen

Und sollen biedre Männer sein

In Taten und in Weisen.“

/

Damit ist der Einklang von Kunst („Barden“), Sinnlichkeit („Lieb

und Wein“) und Tugend als im Wesen der Sache liegend ausge-

sprochen. Allgemeiner Schillers Dithyrambe:

„Nimmer, das glaubt mir,

Erscheinen die Götter,

Nimmer allein.

Kaum daß ich Bacchus, den Lustigen, habe,

Kommt auch schon Amor, der lächelnde Knabe,

Phöbus der Herrliche findet sich ein.