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Einfluß bleibt. Das war z. B. deutlich bei Kaiser Franz Josef I. im

alten Österreich vor dem Kriege zu beobachten.

Eine geschichtliche Tatsache von Bedeutung ist auch, daß lange,

verlustreiche Kriege in der Bevölkerung fast nur Greise, Weiber

und Kinder zurücklassen. Das zeigte sich nach dem Weltkriege be-

sonders deutlich in Serbien, wo infolge der vorangegangenen Kriege

mit den Türken und infolge der ungeheuren Verluste des serbi-

schen Heeres im Kampfe mit den Mittelmächten diese Folgen, die

jedem Kriege zukommen, in noch höherem Maße als bei den an-

deren Kriegsvölkern hervortraten. Ähnlich muß es auch im nach-

napoleonischen Frankreich und in Preußen nach dem siebenjährigen

Kriege gewesen sein. — Auf solche Dinge hat der Geschichtsschreiber

insbesondere auch im Hinblick auf das neue geistige Kräfte-

spiel eines Volkes zu achten.

Z u s a t z ü b e l " J u g e n d b e w e g u n g e n

Die Brüche zwischen Jugend und Alter und die daraus folgenden Spannungen

muten geheimnisvoll an. Sie t a u c h e n i n d e r G e s c h i c h t e o h n e

e r s i c h t l i c h e G r ü n d e a u f , sie sind so überraschend, daß sich die be-

troffenen Geschlechterfolgen oft kaum zurechtfinden können. Gerade die ver-

schiedenen / „deutschen Jugendbewegungen“ lehren uns, daß eine „Jugendbewe-

gung“ nach wenigen Jahrzehnten die andere nicht versteht.

Als die erste „Jugendbewegung“ kann man die um etwa 1885 in Deutschland

auftauchende Strömung des Realismus und Naturalismus in der Dichtung be-

trachten, die zum Teil im Anschluß an Émile Zola von Michael Georg Conrad,

den Gebrüdern Heinrich und Julius Hart, Arno Holz, Johannes Schlaf, dem

jungen Gerhart Hauptmann und manchen anderen eingeleitet und weitergeführt

wurde. Als eine zweite Jugendbewegung kann man den „Wandervogel“ betrach-

ten, wie er um 1900, von Berlin ausgehend, entstand und neben welchem dann

manche andere, eng verwandte Bewegungen (Turnerschaft, Pfadfinder, Freideut-

sche Jugend und andere mehr) einhergingen; als die dritte Jugendbewegung

endlich jene der Nachkriegszeit.

Daß die heutige Jugend erklärt, sie „mache nicht mehr mit“; nicht mit den

Lebensformen unserer Zeit; nicht mit der kapitalistischen Wirtschaftsform, nicht

mit der rationalistischen, seelentötenden Wissenschaft, nicht mit sehr vielen (wer

weiß, wie vielen?) bisherigen Bindungen; das berührt einesteils wie eine Er-

lösung, wie die Strahlen eines neuen Morgens, andernteils aber ist ernsthaft zu

fragen, wieviel an eigener aufbauender Kraft hinter dem neuen Wollen stehe.

Leider muß man sich hier wie mancherorts im modernen Leben an die Redens-

art vom „kleinen Moritz“ erinnern, an das Kind, das „aus Eigenem schafft“.

Was ist das? — die G e s c h i c h t s l o s i g k e i t ! Das Nicht-Anknüpfen an die

Überlieferung, das Ablehnen von Zucht und Erziehung. Nicht-Anknüpfen, Ge-

schichtslosigkeit ist aber Bruch. Jeder Bruch hat die ungeheure Gefahr, daß man

sich der Täuschung hingibt: man könne von neuem anfangen, ohne an Vor-