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aussetzungen anzuknüpfen. Aber gerade das ist unmöglich und noch nie dage-

wesen in der Geschichte. Alle Geschichte beruht auf Anknüpfung, alle Umglie-

derung setzt ein früher Entfaltetes, alle Gründung ein früher Gegründetes vor-

aus.

Diese Gefahr, das Nichtanknüpfen an Vorhandenes kann man nicht dadurch

bannen, daß sich das Alter der Jugend aufdrängt. Steht es auch fest, daß die

alten Jahrgänge versagten, so ist es gleichwohl eine verkehrte Welt, wenn das

Alter die Jugend bittet, sie noch mitarbeiten zu lassen, wie das zuweilen ge-

schieht.

Not tut ein anderes: daß man der Jugendbewegung eindringlich sage und

Vorhalte, wie unzulänglich, brüchig, ja nichtig sie selber sei. Alle großen geisti-

gen Erneuerungsbewegungen sind wohl „Jugendbewegungen“ gewesen, wenn

man so sagen will. Wenigstens waren der Sturm und Drang, war die Klassik,

war die Romantik eine Jugendbewegung. Der Jenenser Romantikerkreis: die

Gebrüder Schlegel, Schelling, / Novalis, Tieck, Fichte — sie waren alle junge,

zum Teil blutjunge Leute. Aber was geschah in diesem Kreise? Um die höchsten

Fragen des Geistes, der Kunst, der Philosophie, des Lebens mühten sich diese

jungen Menschen ab. Und sie kamen zum Ziele, sie überwanden, was ihre Väter

und Vorväter nicht zu überwinden vermochten: die Aufklärung, den Liberalis-

mus, den Empirismus und den Rationalismus! Sie überwanden diese riesen-

haften geistigen Mächte unter Ringen und Zweifeln und durch Erlebnisse, die

sie bis zum Grunde erschütterten.

Ja, diese „Jugendbewegung“, die Romantik hieß, spielt in den höchsten Ge-

bieten des Geistes, aber sie war eine Bewegung von o b e n h i n u n t e r .

Und die heutigen? Sowohl der „Wandervogel“ vor dem Kriege wie der neue

nach dem Kriege, sowohl seine sozialistischen wie seine völkischen, wie seine

katholischen Aufspaltungen — sie waren Bewegungen von u n t e n h i n a u f ,

sie waren und wollten Massenbewegungen sein. „Von unten hinauf“ ist aber

noch nie etwas Gutes geworden in der Geschichte. Die Laute zu nehmen und

in den Wäldern zu schweifen ist ursympathisch und als eine natürliche Regung

des Gemütes zu preisen. Aber daraus eine Lebensbewegung, einen lebensgestal-

tenden Gedanken zu machen — dazu reicht es nicht nur nicht, es ist an solcher

Uberhebung etwas Kernfaules. Dem vermessenen Wollen folgt auf dem Fuße

die Ohnmacht des Herzens. — Soll aus diesen Jugendbewegungen etwas werden,

dann muß man ihnen klarmachen, daß man zwar notwendig mit einer Ver-

neinung, einem Bruche beginnen müsse, um einen neuen Anfang zu machen;

daß aber an diesem Anfange Stehenbleiben heißt: Unvermögen zur Vertiefung,

zur Weiterbildung und Entfaltung.

Nur indem der menschliche Geist von Vertiefung zu Vertiefung schreitet,

erlebt er wahrhaftig und ist kräftig, die Wirklichkeit zu gestalten und zu

meistern. Wenn die Jugendbewegung die Kraft der inneren Vertiefung nicht

findet, ist sie schlechter als die alten Lauwarmen, die liberalen Philister und die

Konservativen, die wenigstens noch nach dem nicht fragten, was sie nicht ver-

standen, und an dem nicht rüttelten, was stärker war als sie.

Wo einen Ausweg finden aus diesem furchtbaren Spuk, der nun s e i t

d e m „ j u n g e n D e u t s c h l a n d “ ( 1 8 3 0 ) d e r E r n s t d e r d e u t -

s c h e n G e s c h i c h t e w u r d e ? Ist es doch, als ob böse Mächte aus den

trüben Tiefen der Geschichte heraufwirkten, denen alles zum Opfer fällt! Diese

„Jugend“ geht durch alle Lager hindurch und zeigt überall die gleichen Schwä-

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