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Durchbruch des Geistes heißt aber Freiheit. Wird Freiheit nicht

anerkannt, dann bekennt man sich damit zu jenem Erkenntnisideal,

welches aus der blinden Notwendigkeit des Geschehens abgeleitet

wurde, zur Laplacischen Weltformel; da- / mit zur naturwissen-

schaftlichen Geschichtsauffassung und — zur Unmöglichkeit aller

Geschichte.

Gegen die Freiheit wehrt sich aber heute alles in der „Wissen-

schaft“. Wenn Freiheit zugegeben wird, so sagt man wohl, dann

hat die Wissenschaft abgedankt. Denn Wissenschaft ist nur dort,

wo strenge Bestimmtheit des Geschehens angenommen wird. —

Diese Ansicht verwechselt aber, so dünkt uns, Freiheit mit Willkür.

Freiheit heißt nicht, daß alles Beliebige geschehen könne, sondern

nur: daß von verschiedenen Möglichkeiten verschiedene geschehen

können. Welche aber diese Möglichkeiten sind, darin liegt die Bin-

dung der Freiheit an bestimmte Voraussetzungen (sie liegen in den

jeweils höheren Ganzheiten), das bedeutet, daß Freiheit nicht

Willkür ist.

Ohne Freiheit überall keine Geschichte! Der sinnvolle Zusammen-

hang allein gewährleistet noch nicht Geschichte. Denn wenn er

eindeutig bestimmt wäre, dann hätte er doch keine Geschichte,

trotzdem er Geist ist. Stellt man sich den Fortschreitungsgang einer

richtigen Schlußkette in seiner absoluten Eindeutigkeit vor — kann

man dann sagen, daß er eine Geschichte habe? Dagegen ergibt sich

sogleich Geschichte, wenn wir fragen, wie im Kopfe des Forschers

jene Schlußkette zum Ziele kam: durch eine Odyssee von Suchen,

Irrtümern, Zwischenfällen und Nebenfolgerungen hindurch. Das

Gravitationsgesetz als Gesetz ist geschichtslos, aber seine Entdeckung

durch Newton hat Geschichte: durch einen fallenden Apfel blitzte

es ihm auf, daß in allen Körpern und Weltkörpern dasselbe Gesetz

wirke, das er dann in der Gravitationsformel fand und in mathe-

matischen Beweisgängen dargestellt hat. Liier ist Geschichte, weil

Erlebnisse und Arbeitsgang Newtons nicht eindeutig bestimmt wa-

ren, sondern vielerlei Möglichkeiten offen waren, weil Freiheit

herrschte.

Freiheit heißt: Es kann geschehen, oder kann auch nicht gesche-

hen. Das hat aber einen tieferen Grund: daß N e u e s aufbricht,

daß S c h ö p f e r t u m am Werke ist. Schöpfertum ist der / große

Hintergrund der Freiheit des Tuns oder Unterlassens. Weil das jeder