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faltigkeit bestünde. Denn fürs erste, wenn man mit einer solchen

Überwindung beginnen müßte, käme man nie zu Ende. Wer hat

auch schon je auf diese Weise einen Allgemeinbegriff gebildet? Fürs

zweite sind die im Allgemeinbegriffe enthaltenen Merkmale keines-

wegs den von ihm bezeichneten Dingen „gemeinsame“ Merkmale.

Denn dann wäre es ja Willkür, w e l c h e Dinge man jeweils unter

einen Hut bringen will, um ihre gemeinsamen Merkmale festzu-

stellen. Würde man z. B. in einer Bücherei alle Bücher mit blauem

Einbande zusammenstellen, oder in einem Zimmer alle Gegenstände,

die braun sind, dann würde man wie hier niemals zu dem Begriffe

des Tisches, so dort niemals zu dem Begriffe des Fachbuches (z. B.

der Pflanzenkunde, Erdkunde usw.) kommen. Die bloße Gemein-

samkeit auf statistischer Grundlage reicht zur richtigen Begriffsbil-

dung keineswegs aus.

Entscheidend ist vielmehr: daß der Allgemeinbegriff eine Ganz-

heit höherer Stufe, eine Gattung, bezeichnet; er b e z e i c h - / n e t

n i c h t v i e l e D i n g e , s o n d e r n e i n e e i n z i g e G a n z -

h e i t , d i e G a t t u n g , m i t e i n e r b e s t i m m t e n S t e l -

l u n g

i m

S t u f e n b a u

d e r

G a n z h e i t e n

o d e r

G a t t u n g e n u n d A r t e n . Unter der höheren Stufe der

Ganzheit verstehen wir die höhere Gattung oder Gattung im enge-

ren Sinne, z. B. „Pflanzenwelt“, „Tierwelt“ gegenüber den in ihnen

enthaltenen Untergliederungen oder niederen Gattungen, z. B.

„Huftier“, das über der Unterstufe „Pferd“ steht

1

. Im Stockwerk-

bau der Gattungen und Arten ist das jeweils Höhere das „Allge-

meine“ gegenüber einem jeweils Niederen als dem „Besonderen“.

Dieses „Niedere“ ist darum nur nach oben hin gesehen das jeweils

Besondere oder weniger Allgemeine; nach unten hin gesehen ist

es aber selbst das Allgemeine. Daraus folgt aber der grundlegende

Begriff des nur v e r h ä l t n i s m ä ß i g Allgemeinen und des nur

v e r h ä l t n i s m ä ß i g Besonderen!

Es zeigt sich, daß es ein schlechthin Allgemeines ebenso wie ein

schlechthin Besonderes (Einzelnes, Individuelles) nicht geben kann.

Allgemeinheit und Einzelheit sind notwendig und überall beisam-

1

Das Folgende nach meinem Aufsatz: Ober die Einheit von Theorie und

Geschichte, in: Aus Politik und Geschichte, Gedächtnisschrift für Georg Anton

Hugo von Below, Berlin 1928, S. 322—333.