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lich gerichteten, welcher in seiner Erfülltheit von naturhaften An-

trieben wähnt, aus e i g e n e r K r a f t zu leben, und den mehr

innerlich gerichteten, welcher seine tieferen Wurzeln spürt — es

zeigt sich, daß für beide das anfangs nur Latente offenbar werden

könne, und daß Gott auf dem Grund der Seele wirke.

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Bei dem einen muß der Glaube an sich selbst ins Wanken kom-

men, um das zu spüren, was in Wahrheit die Kraft speist, aus der

er lebt und wirkt; bei dem anderen kommt durch innere Erfahrung

der mystische Kern seines Wesens mehr und mehr zum Durchbruch.

Beide spüren Gott und dann erfüllt sie ein neues Leben in Seele

und Geist, und dieses neue Leben ist die Wiedergeburt.

In ihr spricht der Mensch Gottes Wort und tut Gottes Tat.

Darum sind die Wiedergeborenen, wenn sie große Gaben erhielten,

die Gottesmenschen, Religionsstifter und Heiligen.

Es ist aber dem Menschen nicht gegeben, in steter Gottverbun-

denheit zu leben. Darum auch gar manche Bekehrung nicht nach-

hält: Auch die Wiedergeburt muß stets erneuert werden! Das innere

Leben muß immer wieder erweckt, der Rückverbundenheitsgrund

des Menschen immer aufs neue berührt werden.

Auch dieses ist ein Grund, warum in der Religionsgeschichte

soviel Unvollkommenes neben Vollkommenem, soviel Irrtum ne-

ben Wahrheit steht. Gott wirkt im Menschen, aber nur nach dessen

Vermögen und Zustand. „Sehet an ein Gleichnis von der Sonne!“,

sagt Jakob Böhme, „wenn ein Kraut nicht Saft hat, so verbrennt’s

der Sonne Strahl, davon es wächset: also auch im Leben der Essenz

im Menschen.“

Beim g e s c h i c h t l i c h e n R e l i g i o n s s t i f t e r sehen wir

den Kampf um immer neue Wiedergeburt ebenfalls. Und mit

diesem Kampf ist auch verbunden jener um einen immer g e -

r e i n i g t e r e n L e h r i n h a l t . Denn der Beginn des Neuen

kann sich nur auf Grund des Alten, das heißt aber der religiösen

Lehrbegriffe, theologisch-philosophischen Deutungen und Ritual-

vorstellungen der b i s h e r i g e n geschichtlichen Religion voll-

ziehen. Besonders deutlich ist dies bei Mohammed, der, mit jüdi-

schen und christlichen Vorstellungen gesättigt, natürlich auch mit

der altarabischen Religion vertraut ist und hierauf weiterbaut.

Auch Buddha finden wir aus der Welt des Brahmanismus die

Seinige aufbauen. Zarathustra zeigt sich zwar durchaus im Gegensatz

20 Spann, Religionsphilosophie