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A n h a n g z u m z w e i t e n B u c h

Über die Gesellschaftslehre des Kungfutse

Während die antike, die mittelalterliche und die deutsche klassi-

sche Gesellschaftslehre überall bekannt und zugänglich sind, trifft

dies für die chinesische Gesellschaftslehre nicht zu. Daher sei hier ein

Zusatz erlaubt, der mit dem Grundgedanken vertraut macht.

Die kürzlich erschienene Übersetzung der „Gespräche“ des Kung-

futse

1

ermöglicht es, namentlich durch die Heranziehung altchine-

sischer Kommentare, besser als bisher ein Urteil über eine Lehre zu

bilden, welche jahrtausendelang die Grundlage der chinesischen Kul-

tur war. Freilich ist das bei der lakonischen Kürze und der Vieldeu-

tigkeit der Sprüche ein Unternehmen, das schwerlich je vollständig

gelingen kann.

Das Lehrgebäude des Kungfutse ist weniger eine Religion als viel-

mehr durch und durch S i t t e n l e h r e . Man kann sich die Per-

sönlichkeit Kungfutses vielleicht am besten durch einen Vergleich

mit Sokrates, der etwa ein Jahrhundert später lebte, verdeutlichen.

Beide gehen ganz auf das Sittliche. Freilich sind grundlegende Un-

terschiede zwischen ihren Lehren vorhanden. Kungfutse erstrebt

weniger die Begründung und begriffliche Klärung des Sittlichen als

Sokrates; er sieht ganz und gar auf die Anwendung der Sittenlehre

im Staate.

Wie Kungfutse das W e s e n d e s S i t t l i c h e n faßt, ist aus

den „Gesprächen“ schwer eindeutig zu bestimmen. Folgende Sprüche

dürften den Hauptstoff für die Beurteilung bilden: Fan Tschi

fragte, / was Sittlichkeit sei. Er (Kungfutse) sprach: „Der Sittliche

1

Der obige Abschnitt folgt dem Aufsatz des Verfassers: Die Staatsidee in

der Lehre des Kungfutse, in: Süddeutsche Monatshefte, Jg 9, Bd 2, München

1912, S. 407 ff. Kungfutse: Gespräche (Lun Yü), aus dem Chinesischen übersetzt

und erläutert von Richard Wilhelm, Jena 1910. Vgl. dazu Johann Jakob Maria de

Groot: Universalismus, die Grundlagen der Religion und Ethik, des Staatswesens

und der Wissenschaften Chinas, Berlin 1918.