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mus); und ferner je weniger sie die Form höchster Mystik an-

nimmt. Die „Aktualisierung“ hat aber auch eine objektive Seite.

Sie ist es vor allem, die gesellschaftliche Bedeutung annimmt: Der

Gottesdienst organisiert die Verwirklichung des Religiösen in den

Menschen als den Gliedern der Gesellschaft, der Gemeinschaft! Es

ist die Aktualisierung des Religiösen in der jeweiligen ge-

s c h i c h t l i c h e n G e m e i n s c h a f t d e r M e n s c h e n , die

dem Gottesdienst als Grundzug innewohnt. Um nur im stillen

Kämmerlein zu beten, bedarf es keines gemeinsamen Gottesdienstes,

keiner organisierten Religionsgemeinschaft; die Verwirklichung

des Religiösen bliebe da geheim und einzeln in unserer Brust. Daß

es aber zu solcher persönlicher Andacht regelmäßig komme, das er-

fordert eine große innere Energie, die nicht jeder aufbringen kann.

Daher bedarf es der Veranstaltung, der Gemeinsamkeit, des Prie-

sters, des regelmäßigen Opfers, der andächtig stimmenden Kunst-

mittel, der Worte, Gebräuche — des Gottesdienstes; und das heißt

dann weiter: der K i r c h e überhaupt als einer vergemeinschaf-

tenden Organisation im weitesten Sinne. (In diesem weitesten

Sinne fehlt die Kirche weder bei den Griechen noch bei primitiven

Völkern.)

Das objektive Wesen des Gottesdienstes kommt zum reinen Aus-

druck in den altarischen Religionen. Besonders bei den Indern und

Iranern war die O p f e r o r d n u n g e i n A b b i l d d e r W e l t -

o r d n u n g . Daher iranisch rtam gleich indisch rta, lateinisch ritus

sowohl Recht / wie Opferordnung bezeichnet. W e l t o r d n u n g

g l e i c h F e s t o r d n u n g

1

g l e i c h R e c h t s o r d n u n g

2

.

Wieder kommt in diesem großen Satze der Theomorphismus der

Weltordnung, der Gesellschaft, des Menschen zum Ausdrucke (ent-

gegen dem „Anthropomorphismus“ der Empiristen). Dieser Satz ist

auch sonst soziologisch wichtig. Denn er beleuchtet das l e t z t e

W e s e n a l l e r R e g i e r u n g , d i e i m W e i t e r g e b e n

d e r g e s c h a u t e n G o t t e s o r d n u n g b e s t e h t (so auch

in Platons „Staat“: die Weisen, die die Ideen schauen, regieren, ent-

sprechend auch die thomistische Gesellschaftslehre

3

); wie er auch

1

Nämlich: Opferordnung.

2

Wolfgang Schultz: Die Sittenlehre des Zarathustra, in: Jahrbücher der

philosophischen Gesellschaft in Wien, Jg 1913, Leipzig 1913.

3

Vgl. Otto Willmann: Geschichte des Idealismus, 3 Bde, 2. Auf!., Braun-

schweig 1907, Bd 2, S. 443 ff.