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diese einer unmittelbar praktischen, jene einer wissenschaftlichen

Sittenlehre.

Was früher von den g e s e l l s c h a f t l i c h e n B e d i n g t h e i t e n u n d

d e n g e s e l l s c h a f t l i c h e n L e i s t u n g e n der Religion gesagt wurde,

gilt sinngemäß auch für die Philosophie. Für den Unterschied ist entscheidend, daß

Philosophie dem bewußten, abstrakt gebildeten, ja in Wahrheit nur dem genialen

Geiste vollkommen angemessen ist, Religion aber auch dem weniger selbständigen,

unbewußter hinlebenden Menschen Genüge leisten kann. „D en S c h ö p f e r

d i e s e s A l l s z u f i n d e n i s t s c h w e r , i h n a l l e n z u v e r k ü n d e n

u n m ö g l i c h“

1

, sagt Platon, und: „ d a s g e i s t i g e A u g e d e r M e n g e

v e r m a g , w e n n e s a u f d a s G ö t t l i c h e b l i c k t , n i c h t a u s z u -

h a r r e n.“

2

Hiernach scheint das angemessenste Verhältnis zwischen Philosophie und

Religion das zu sein, das im philosophischsten und religiösesten Volk der Welt,

den Indern, von Anbeginn bestand, das der G e h e i m l e h r e . Die Geheim-

lehre des Veda hebt dessen Lehren nicht auf, sondern deutet sie; ähnlich die

M y s t e r i e n der Religionen des Altertums. Darum sind dort auch Theologie

und Philosophie durch keine Kluft getrennt. Religion ist die Philosophie der Menge

und soll es sein — nicht aus Gründen gesellschaftlicher Nützlichkeit, sondern weil

sie die angemessene Form des Empfindens bildet. Philosophie hat Religiosität

zur inneren Grundlage. Philosophie ist Religion in reflektierter und abstrakter

Form. Daher der Satz gilt: Religion ist vor Philosophie; aber Religion will sich

in Philosophie verwandeln, in ihr die höchste Entfaltung finden

3

.

Philosophie ist daher mit der Religion zusammen allezeit das höchste und

führende Kulturelement gewesen — keine von beiden als solche, jede als eigene

Äußerungsform des Metaphysischen, das allein die absolute Priorität im Gei- /

stigen unseres Lebens, damit in aller Gesellschaft und Geschichte innehat. Wenn

daher Hegel sagt, „ d i e P h i l o s o p h i e i s t d a s I n n e r s t e d e r W e l t -

g e s c h i c h t e “ und Schelling in seiner „Philosophie der Mythologie und Offen-

barung“: die R e l i g i o n i s t d a s I n n e r s t e d e r G e s c h i c h t e , so

sprechen beide insofern dasselbe aus, als sie nicht das Äußerliche und Sterbliche

an den Systemen im Auge haben, sondern ihr Inneres und Unsterbliches. Dieses

ist selbst schon der Geist, ist das Geschick alles Lebens.

1

Platon: Timaios, 28e.

2

Platon: Sophist, 254B.

3

Siehe unten unter Vorranglehre, S. 426 ff.